Ver.di erhöht Druck bei Amazon

Streiks an sechs Standorten / Jetzt auch »Amazon Prime Instant Video« im Streik

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Im andauernden Kampf für einen Tarifvertrag erhöht ver.di weiter den Druck auf die Nummer eins im Onlinehandel. Beschäftigte beschließen die Verlängerung des Ausstandes bis Donnerstagabend.

Wieder streiken die Beschäftigten bei Amazon. Zusammen mit ihrer Gewerkschaft ver.di wollen sie einen Tarifvertrag erkämpfen, der sich nach den Standards des Einzel- und Versandhandels richtet. Amazon hingegen beansprucht für sich, ein Logistiker zu sein und orientiert sich an den niedrigeren Standards in dieser Branche – bislang komplett ohne Tarifvertrag.

An sechs der neun Standorte begann mit Beginn der Frühschicht am Montagmorgen um 5 Uhr der Streik. Am Dienstag beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben insgesamt rund 1700 Beschäftigte am Ausstand, am Montag waren es bereits 1550. Erstmals streikten am Dienstag auch rund 80 MitarbeiterInnen des DVD-Versandes und Streamingdienstes »Amazon Prime Instant Video« für einen halben Tag. Insgesamt arbeiten in Deutschland rund 10.000 Menschen bei Amazon. Zu Arbeitsniederlegungen beim weltweit größten Onlinehändler kommt es seit Mai 2013.

Während im rheinland-pfälzischen Koblenz ab Mittwoch wieder gearbeitet wird, beschlossen die Beschäftigten an den Standorten Leipzig (Sachsen), Rheinberg, Werne (beide NRW) und Bad Hersfeld (Hessen) auf Streikversammlungen, den Ausstand bis zum Ende der Spätschicht am Donnerstag zu verlängern. Im bayerischen Graben beteiligten sich mehrere hundert Beschäftigte an einem Ausstand, der die gesamte letzte Woche andauerte. Dort hatte eine Amazon-Sprecherin nach Agenturangaben betont, alle Pakete würden pünktlich zugestellt, der Streik habe keine Auswirkungen.

Entgegen der Behauptungen des Handelskonzerns habe sich gezeigt, »dass es zu Lieferverzögerungen kommt und Amazon unter Druck gerät«, sagte das für den Handel zuständige ver.di-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. »Uns geht es nicht darum, Kundinnen und Kunden zu schädigen, sondern ein Unternehmen zum Abschluss eines Tarifvertrags zu bewegen. Das ist ein elementares Recht der Beschäftigten«, so die Gewerkschafterin weiter. Amazon habe es selbst in der Hand, »die Streiks zu beenden und endlich für gerechte und gute Arbeitsbedingungen zu sorgen«.

Wirkungslos waren die Streiks bislang nicht, obwohl die Aufnahme von Tarifverhandlungen noch nicht absehbar ist. Seit Beginn der Arbeitskämpfe erhielten die Beschäftigten Lohnerhöhungen, wurde ein untertarifliches Weihnachtsgeld gezahlt. Nach mehrjähriger Vorbereitung hatten zunächst Leipzig und Bad Hersfeld mit Streiks begonnen, nach und nach kamen mehr Standorte dazu.

Unterstützung erfuhren die Streikenden auch aus der Politik. Linksparteichef Bernd Riexinger kritisierte am Dienstag die »Blockadehaltung« des Unternehmens und forderte den »Lohndrücker Nr. 1 der Versandhandelsbranche« auf, in Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu treten. Überdies müssten sich die KundInnen mit den Streikenden solidarisieren: »Der Kampf um gute Arbeit zu guten Löhnen geht uns alle an.« »Prekäre Arbeit und hemmungslose Ausbeutung« dürften nicht »die Normalität der Arbeitswelt in unserem Land bestimmen«, so Riexinger.

Ver.di-Chef Frank Bsirske sprach am Dienstagvormittag auf einer Streikversammlung in Werne vor Beschäftigten von Amazon sowie vom Klamottendiscounter KiK in Bönen und der Franz Kerstin Haustechnik GmbH in Soest (beide NRW). Bei KiK wird derzeit auch für einen Tarifvertrag nach Einzelhandelsbedingungen gestritten, den das Unternehmen partout verweigert. Franz Kerstin ist ein ebenfalls tarifloser Großhändler. »Überall gibt es ein gemeinsames Ziel: Tarifverträge, die ein vernünftiges Leben und gute Arbeitsbedingungen ermöglichen.«, sagte Bsirske. Der ver.di-Vorsitzende kritisierte den enormen Leistungsdruck, der auf die Amazon-Beschäftigten ausgeübt wird: »Die Beschäftigten werden nicht wie Menschen, sondern wie Roboter behandelt.«

Streikbereitschaft und Motivation seien in Bad Hersfeld ungebrochen hoch – trotz der langen Dauer der Auseinandersetzung, sagte ver.di-Sekretärin Mechthild Middeke gegenüber »nd«. Es kämen auch immer wieder neue KollegInnen dazu. Dass die Zahl insgesamt etwas niedriger sei als beim letzten großen Streik im Dezember, liege auch daran, dass eine ganze Reihe befristeter Verträge ausgelaufen seien und so weniger Menschen am Standort arbeiteten.

Der Kampf um den Tarifvertrag bei Amazon kann sich noch hinziehen, denn das Amazon ficht die streikende Belegschaft bislang nicht an. Dass der Streik irgendwelche Auswirkungen habe, bestreitet das Unternehmen in schöner Regelmäßigkeit. Für ver.di ist der Ausgang des Arbeitskampfes zentral. Die Dienstleistungsgewerkschaft will die Beschäftigten des Onlinehandels als vergleichbar neuer und stetig wachsender Branche unter dem Schutz von Tarifverträgen wissen. Angesichts der harten Verdrängungskonkurrenz im Einzelhandel insgesamt ist das von zentraler Wichtigkeit. Und es geht darum, dass Amazon-Chef Jeff Bezos das hiesige Modell »Tarifmodell« anerkennt. Ansonsten würde Nachahmungstätern Tür und Tor geöffnet.

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