Janusköpfige Manager
Großunternehmen versprechen die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards - die Wirklichkeit sieht anders aus
Marlen Rürup nennt sich Research Director. Für die Münchener Ratingagentur Oekom Research analysiert sie unter anderem Pharmakonzerne auf ihre ethische »Performance« hin. Um ihre Aufgabe zu beschreiben, gebraucht sie gerne den englischen Ausdruck »sustainable« (nachhaltig). Zu ihren Recherchefragen zählt: Wo werden in Entwicklungsländern überteuerte Medikamente verkauft? Oder wer nimmt hierzulande seltene, aber in Afrika oder Asien weit verbreitete Krankheiten einfach nicht ins Forschungsportfolio? Dies zeigt, dass Rürup anders bewertet als ihre Kollegen bei herkömmlichen Ratingagenturen wie Moody’s oder Standard & Poor’s, die auf die Profitperspektiven bei Arzneimitteln setzen. Prognosen etwa über leer laufende Produkt-Pipelines brachten schon manches Unternehmen an den Rand der Pleite - indem sie die Pleite vorhersagten.
Marlen Rürup wäre froh über eine »self-fulfilling prophecy«. Denn ihre Arbeit besteht darin, Defizite im Umweltschutz und Sozialbereich aufzudecken - im Auftrag ethisch orientierter Investoren. Dies ist zugleich der Hebel, um dubioses Geschäftsgebaren zu ändern: Ihre Anlage suchenden Sparmillionen nutzen Kirchen, Hilfsorganisationen, Alternativbanken oder ethisch orientierte Vermögensverwalter, um Druck auf Unternehmen auszuüben.
Oekom Research hat unter den 30 deutschen DAX-Konzernen bisher maximal die Note »B plus« vergeben, etwa an den Konsumgüterhersteller Henkel oder den Gaseproduzenten Linde. Ein »A« erhalten allenfalls ausgewiesene Öko-Unternehmen wie die Umweltbank. Was für diese selbstverständlich ist, müssen die DAX-Multis erst mühsam erlernen.
Beispiel Deutsche Bank: Der Finanzbranchenführer erlebe derzeit einen »tief greifenden Kulturwandel«, heißt es im jüngsten Geschäftsbericht. Kritisierte Geschäfte, aus denen sich »Reputationsrisiken« ergeben könnten oder die nicht »zu unseren Werten gehören«, würden eingestellt. 1250 Geschäfte seien zuletzt auf ihre »ökologischen und sozialen Risiken hin untersucht worden«. Allerdings haben DAX-Konzerne zwei Gesichter: Im Geschäftsbericht wird als Ziel »nachhaltiges Wirtschaften« ausgegeben. Gleichzeitig verspricht die Deutsche Bank den Aktionären, sich auf die Steigerung der Renditen zu konzentrieren. Man werde »Ressourcen dynamisch einsetzen, um höhere Erträge zu generieren«.
Auch bei anderen Großunternehmen ist der »Kulturwandel« verbal in vollem Gange. Schutz der Umwelt und der Menschenrechte, bessere Arbeitsbedingungen in den armen Ländern und faire Handelskonditionen stehen gleichrangig neben ökonomischen Zielen. Doch Aktionäre müssen kaum befürchten, dass ihre Dividenden geschmälert werden, weil Vorstände vom kapitalistischen Kurs abweichen. Dafür sorgt schon der Trend, die Vergütung der Manager an den Verlauf des Aktienkurses zu koppeln. Auch sonst sind die Umsetzer der Börsenlogik bemüht, die angestellten Manager zu Anteilseignern mit Eigeninteressen zu machen.
Wer von außen dagegen vorgehen will, benötigt zunächst Informationen. Die liefern alternative Ratingagenturen, von denen es hierzulande drei gibt. Die größte von ihnen, Oekom Research mit 53 Analysten, hat bislang 3500 Unternehmen in 55 Ländern unter die Lupe genommen. Den Beurteilungsmaßstab bilden rund 100 branchenspezifische Kriterien, die etwa den Kernnormen der Internationalen Arbeitsagentur oder dem von der UNO gemeinsam mit aufgeschlossenen Multis erarbeiteten »Corporate Compact« entstammen. Ausschlusskriterien für ein positives Rating sind Bergbauaktivitäten mit akuter Umweltvergiftung - auch Öl- und Gasproduzenten, Atom- und Kohlekraftwerksbetreiber, Hersteller von gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Saatgut, Immobilienkonzerne und Handelsunternehmen mit ausbeuterischen Methoden sowie illegalen Jobs bleiben draußen. Fairer Handel wird hingegen gut benotet.
Unter den Alternativanalysten überwiegt die Skepsis gegenüber dem angeblichen Bewusstseinswandel der Manager. Zu den Geschäftsfeldern der Agenturen gehören daher auch Empfehlungen für engagierte Nord-Süd- und Umweltgruppen, wie sie auf Hauptversammlungen effektiv auftreten können. »Der Fortschritt geht nur ganz langsam voran«, meint Oekom-Mitarbeiterin Rürup. Am meisten bewege sich dort, wo Regierungen mit gutem Beispiel voran gehen.
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