Der Fall Doris Maase
In Großbritannien erschien eine neue Studie über das KZ Ravensbrück
Der Name war mir entfallen. Durch ein in Großbritannien erschienenes Buch über das Frauenkonzen-trationslager Ravensbrück erinnerte ich mich wieder: Dr. med. Doris Maase, Ärztin in Düsseldorf, Mitglied der KPD-Fraktion im Stadtparlament. Über ihr Schicksal hatte ich als junger FDJler vor Jahrzehnten aus dem Munde von Wolfgang Langhoff, dem ehemaligen »Moorsoldaten« und damaligen Intendanten des Düsseldorfer Schauspielhauses, erfahren.
Doris Maase, ab 1931 Mitglied im Roten Studentenbund, ist im Sommer 1933 von der Universität verwiesen worden. Mit ihrem Mann Klaus Maas wurde sie am 27. Mai 1935 verhaftet und der Anfertigung sowie des Verteilens von antifaschistischen Flugblättern angeklagt. Am 7. September 1936 verurteilte der »Volksgerichtshof« in Berlin sie zu drei Jahren Zuchthaus und drei Jahren Ehrverlust. Nach Verbüßung der Strafe folgte die Deportation in das KZ Lichtenburg im heutigen Sachsen-Anhalt und später nach Ravensbrück. Im Frauenkonzentrationslager war die »Halbjüdin«, Häftling Nr. 905.308, im Krankenrevier eingesetzt. Unter Lebensgefahr rettete sie Mithäftlinge, u. a. durch das Ausstellen von falschen Krankheitsbescheinigungen, Austausch von Blutkonserven oder Beschaffung von Medikamenten für an den Folgen barbarischer medizinischer Experimente leidende Häftlinge. Sie hat sich also, wie es im Bundesentschädigungsgesetz heißt, durch ihren Widerstand »um Deutschland verdient gemacht«.
In Ravensbrück waren von 1939 bis 1945 über 130 000 Menschen aus 40 Nationen inhaftiert, darunter 30 000 Männer und 1000 jugendliche Häftlinge. Die Zahl der Toten wird mit 28 000 angegeben: vergast, verstümmelt, verhungert, an Entkräftung während der Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie gestorben. Vor 70 Jahren, am 30. April 1945, befreite die Rote Armee das Lager.
Diese Grunddaten und darüber hinaus zahlreiche neue Fakten und biografische Hintergründe bietet ein in Großbritannien erschienenes neues Buch über das deutsch-faschistische Konzentrationslager bei Fürstenberg an der Havel. Die britische Journalistin Sarah Helm hat ihre akribische Studie - in Anlehnung an den Bericht des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi von 1947 »If This Is a Man« (Ist das ein Mensch?) - mit » If This Is a Woman« (Ist das eine Frau?) überschrieben. Untertitel: »Inside Ravensbrück. Hitler's Concentration Camp for Women«. Die »Daily Mail« veröffentlichte Auszüge, auf die sich jüngst »Focus« bezog - unter einer Schlagzeile, die dem Geist des »Fakten, Fakten, Fakten«-Magazins entspricht: »Nach dem Friseursalon in den Strafblock: Das Luxusleben der brutalen KZ-Wächterinnen von Ravensbrück«. Zu erfahren ist da, dass die Aufseherin Dorothea Blinz, »deren elegantes Äußeres nichts von ihrem Inneren verriet«, es genossen habe, »die Häftlinge in Eiswasser zu tauchen oder sie brutalst zu verprügeln«. Von den Häftlingen habe sie deshalb den Spitznamen »wunderschöne Schlampe« bekommen.
Sarah Helm geht es jedoch in ihrem Buch nicht vornehmlich um die Beschreibung der Grausamkeiten der Wächterinnen, sondern vielmehr um die Selbstbehauptung und Solidarität der Häftlingsfrauen. Dieses Hauptanliegen der Autorin bestätigt Bärbel Schindler-Saefkow, die bei der Buchvorstellung in London anwesend war und deren Mutter Änne Saefkow selbst die Hölle von Ravensbrück durchgemacht hatte. Die Tochter des von den Nazis 1944 ermordeten Anton Saefkow war maßgeblich am Erstellen des »Totenbuches« von Ravensbrück mit über 13 000 Namen und aufwendig recherchierten Lebensdaten beteiligt. Als ausgewiesene Kennerin der Geschichte des Frauen-KZ, die auch noch zahlreiche Überlebende mehrerer europäischer Nationen interviewte, stand Bärbel Schindler-Saefkow der britischen Autorin als Konsultantin zur Seite. Sie schüttelt den Kopf über den »Focus«-Beitrag, der erst am Schluss, mit dürren Zeilen Häftlingsfrauen erwähnt, so Olga Benario, deren Ermordung am 23. Mai 1942 in der Vernichtungsanstalt Bernbug indes nicht erwähnt wird, und Doris Maase, vorgestellt als »eine halbjüdische Ärztin, die in der Krankenstation gemeinsam mit Milena Jesenska, einer Geliebten Kafkas, andere Häftlinge behandeln durfte«.
Doris Maase lebte nach der Befreiung vom Faschismus mit ihrem aus dem KZ Buchenwald zurückgekehrtem Mann in Düsseldorf und praktizierte wieder als Ärztin. Sie wurde Mitglied der KPD und zwei Mal in den Stadtrat gewählt. Da hatten sich die politischen Verhältnisse schon geändert. Kommunistischer Widerstand gegen Hitler & Co. war im Kalten Krieg, als der Antikommunismus erneut aufblühte, suspekt. Der Kommunist Klaus Maase war schon 1950 als Beigeordneter im Düsseldorfer städtischen Hochbauamt entlassen. Und nachdem am 17. August 1956 der Bundesgerichtshof die KPD verbot, wurde auch Doris Maase, wie allen gewählten kommunistischen Abgeordneten, das Mandat entzogen - gemäß den Gesetzen der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«. Gegen diese habe sie seit 1949 und erst recht als Ratsherrin verstoßen, attestierte man ihr amtlich, als sie sich für die Landtagswahlen 1958 um ein erneutes Mandat, nun als Parteilose, bewerben wollte.
Es folgte ein Prozess. Die Richter verurteilten sie zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung (vielleicht überkam sie doch ein gewisser Respekt vor der Ravensbrückerin). Daraufhin holte die Landesrentenbehörde von Nordrhein-Westfalen als Vollstrecker antikommunistischer Gesetzgebung zum Schlag aus. Am 31. Dezember 1960 erhielt Doris Maase als verspätetes Geschenk zum Fest der »christlichen Nächstenliebe« den Bescheid, es sei »nach hier vorliegenden Unterlagen als erwiesen anzusehen, dass Sie nach dem 23. 5. 1949 die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft haben, da Sie sich als Funktionärin der KPD für die Verwirklichung der Ziele dieser Partei einsetzten«.
Ganz abgesehen davon, dass ein bei Wahlen erworbenes Mandat keine Parteifunktion ist und die gerichtliche Verdammung der KPD als »verfassungswidrig« erst 1956 mit dem Verbotsurteil des BGH erfolgte, ist das, was im Schreiben ausgeführt wird, ein politischer Skandal. Das Amt bezog sich auf den nachträglich in das Bundesentschädigungsgesetz eingefügten Absatz, wonach derjenige, der nach dem 23. Mai 1949 gegen die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« verstoßen habe, seine Entschädigungsansprüche verliere. Doris Maase habe ab dem 1. Juni 1949 nur noch Anspruch auf Leistungen nach dem NRW-Versorgungsgesetz in Höhe von 140 DM. Die Differenz des Betrages vom BEG zum Landesgesetz sei von ihr zurückzuerstatten. Nach der beigefügten Aufrechnung hatte die »Verfassungsfeindin« die bis dahin gezahlte Rente für in sechsjähriger Haft erlittene Gesundheitsschäden in Höhe von 26 582 DM auf ein Konto der Regierungshauptkasse Düsseldorf zu überweisen. Die Behörde ging auf Nummer sicher: »Der Rentenbetrag nach VRG von DM 140,- wird ab 1.1.61 zur Sicherung des zu erstattenden Betrages vorerst einbehalten.«
Doris Maase machte ihren Fall öffentlich, nachdem sie im »Spiegel« wenige Tage nach der Aberkennung ihres Verfolgtenstatus’ gelesen hat, dass Ernst Lautz, Oberreichsanwalt am »Volksgerichtshof«, im Nürnberger Juristenprozess zu zehn Jahren Haft verurteilt und nach seiner vorzeitigen Entlassung im Februar 1951 mit einer Pension als Generalstaatsanwalt versorgt war. Auf Grund zahlreicher Proteste erfolgte zwar eine Zurückstufung, doch habe Lautz nicht »zu befürchten, dass er etwa bereits unrechtmäßig bezogene Gelder zurückzahlen muss«. Wer, wie im Nürnberger Urteil ausgeführt, »in verbrecherischer Weise in die Durchführung der Polen- und Judenstrafrechtsverordnung verwickelt war«, konnte nicht wie Doris Maase gegen das Grundgesetz verstoßen haben.
Sarah Helm fasste als Fazit ihrer Forschungen während der Buchpremiere in London zusammen: »Man kann nicht mehr an das Gute im Menschen glauben. Ich musste diesen Glauben erst wiederfinden.« Dass ihr dies gelang, verdanke sie dem Beispiel der tapferen Ravensbrückerinnen. Es wäre gut, wenn ein deutscher Verlag sich des Buches von Sarah Helm annehmen würde.
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