»Dekommunisazija« der Ukraine

Zum 9. Mai droht der Justizminister mit einem »Paket« von Gesetzen - und das Verbot der KP

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Souvenirhändler in der ukrainischen Hauptstadt Kiew waren wütend. Vom Verbot kommunistischer und nazistischer Propaganda wollten sie zum orthodoxen Ostern am Wochenende lieber noch nichts gehört haben. Gerade mit sowjetischer Hammer-und-Sichel-Symbolik auf Pelzmützen und Flachmännern machen sie ihre Geschäfte. Nach dem Willen der parlamentarischen Mehrheit in der Werchowna Rada werden aber seit Donnerstag für solcherlei Tun Haftstrafen angedroht - nicht für das Stürzen von Leninstatuen wie am Wochenende in Charkow.

Beispiele für künftig kriminelle Propaganda, die Präsident Petro Poroschenko zweifellos unterschreiben und rechtskräftig machen wird, finden ukrainische Medien stets auf der linken und kommunistischen, nicht aber auf der rechtsextremen und nazistischen Seite. Dafür dürfte die Voraussicht der extremistischen »Radikalen Partei« des im Wahlkampf als Prügelpolitiker hervorgetretenen Oleg Ljaschko gesorgt haben.

Seine Fraktion brachte noch flink ein Gesetz durch. Damit wurden die Bandera-Organisationen Ukrainischer Nationalisten (OUN) und Ukrainische Aufständische Armee (UPA), die im Zweiten Weltkrieg erbittert gegen die Sowjetarmee gekämpft hatten, gemeinsam mit anderen zumindest ultranationalistischen Gruppierungen als »Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine im 20. Jahrhundert« anerkannt. Sie genießen neben Ehre und Zuwendungen logisch auch Schutz des Staates für ihre Symbolik. Das wird ebenso für solche Bataillone wie »Asow« gelten. Dort werden SS-Runen am Helm und die Wolfsangel im Wappen getragen.

Sinn für Symbolik offenbarte auch Justizminister Pawlo Petrenko. Bis zu dem nicht nur beim russischen Nachbarn als »Tag des Sieges« im Zweiten Weltkrieg und über den Faschismus begangenen 9. Mai soll das Parlament in Kiew ein ganzes »Paket« zur Austreibung des Kommunismus aus dem Land verabschieden, hatte er noch vor dem 9. April angekündigt. Für die »Dekommunisazija« besäße die Koalition den politischen Willen und die nötige Zahl der Stimmen.

»Ich kann vieles tun, um die Freiheit des Wortes und die Demokratie in der Ukraine zu gewährleisten«, beteuerte derweil Staatschef Petro Poroschenko. Das dürfte er für die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU) nicht gelten lassen. Kaum zufällig machte der Justizminister seine Ankündigung über TV-Kanal »5«, der unter Kontrolle des Oligarchen und Präsidenten Poroschenko steht.

Da bereits vier Gesetze verabschiedet wurden, müsste nun das Verbot der KP auf der Tagesordnung vorrücken. Doch das Verfahren läuft für die Macht in Kiew nicht gut. Die ihrer Beweiskraft nach offenbar sehr dünnen Akten sind unterwegs zwischen den Instanzen. Nach der Beschlagnahme seiner Unterlagen war das Kiewer Bezirksgericht geschlossen zurückgetreten. Jetzt soll es ein Gericht richten, von dem sich die Regierung mehr Wohlwollen erhofft. Das aber musste seine Beratung absagen, weil die KP gegen die Praxis des Ministeriums Berufung einlegte.

Seit dem Umsturz vom Februar 2014 mühen sich die Sieger um die Beseitigung der KP. Im Mai des Vorjahres wurde sogar Übergangspräsident und Parlamentschef Alexander Turtschinow, heute Chef des Sicherheitsrates, in der Sache vorstellig. Die KPU solle wegen »separatistischer und terroristischer Tätigkeit« gerichtlich überprüft werden, um deren Verbot beantragen zu können.

Ein erster Antrag zum Verbot der KP war in das Parlament, in dem sie mit 32 Abgeordneten vertreten war, schon im Februar 2014 eingebracht worden. Autor war die rechtsextreme »Swoboda«-Fraktion. Dass sie selbst unter das Verbot »nazistischer Propaganda« fällt, kann beim derzeit herrschenden politischen Willen ausgeschlossen werden.

Nicht aber ein massives Vorgehen gegen die Kommunisten. So hatte Ende März 2015 ein Radikalen-Abgeordneter den KP-Vorsitzenden Simonenko im Präsidium einer Tagung des ZK der KP Russlands in Moskau entdeckt. Er war als Gast geladen, um über die Lage in der Ukraine zu informieren, wie die »Prawda« berichtete. Doch der ukrainische Geheimdienstchef Valentin Naliwaitschenko setzte nicht nur in die Welt, KP-Mitglieder seien an Terroranschlägen beteiligt, sondern Simonenko russischer Staatsbürger und Mitglied der dortigen KP-Führung. Elf Stunden wurde der Beschuldigte laut Medienberichten vom Geheimdienst verhört.

In einem Brief an die Führungen linker Parteien in Europa und ihre Abgeordneten im Europäischen Parlament erklärte Simonenko Anfang April: »Alle derartigen Beschuldigungen sind Erfindungen, deren Ziel darin besteht, die linke Bewegung der Ukraine führerlos zu machen, organisatorisch zu zerschlagen und aus einer realen Opposition gegen das Regime der Junta in eine Westentaschen-Opposition umzuwandeln.« Den Geheimdienst nannte er vor Journalisten eine »politische Gendarmerie«. Die sieht er unter Hinweis auf den deutschen faschistischen Geheimdienst auf dem Weg zu einer Art Gestapo.

Im Februar 2014 war die KP-Zentrale in Kiew verwüstet, das Haus des Sohnes von Parteichef Petro Simonenko von »Selbstverteidigungskräften des Maidan« in Brand gesetzt worden. Die Worte der KP-Führung von »antikommunistischer Psychose«, »Höhlenvandalismus« und »Räuberei« gelten fort.

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