Die gesteuerte Digitalisierung

Wirtschaftsminister Gabriel macht »Industrie 4.0« zur Chefsache

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
3D-Drucker statt Werkbank. Die Bundesregierung hat auf der Hannover Messe eine »Plattform Industrie 4.0« gestartet. Kritiker halten die Gefahren für die Arbeitswelt für unterbelichtet.

3D-Drucker statt Werkbank, Kommunikation zwischen intelligenten Maschinen statt zentrale Steuerung, ein Netz virtueller »Workplaces« statt Arbeitsplätze im Betrieb. Noch ist die digitale Revolution vor allem eine vage Vision. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) macht sie nun zur Chefsache. Auf der Hannover Messe startete er am Dienstag vor rund 400 Managern die »Plattform Industrie 4.0«. Mit einer konzertierten Aktion von Politik, Unternehmen und Gewerkschaft will die Bundesregierung »die Chancen der Digitalisierung der Wirtschaft aktiv nutzen«. Heute würden wichtige Grundlagen für den »Wettlauf um die Produkte und die Märkte von morgen« gelegt, so Plattform-Chef Gabriel. Deutschlands Wirtschaft solle auch zukünftig die Fabriken der Welt ausrüsten.

Im Vorfeld hatten die Branchenverbände Bitkom, VDMA und ZVEI eine gemeinsame Initiative gegründet, die nun in Gabriels Mega-Plattform aufgeht. Mit dabei sind nun auch Ulrich Grillo, Präsident des Indus-trieverbandes BDI, der Vizechef der IG Metall, Jörg Hofmann, und Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU). Auch die Fraunhofer Gesellschaft mischt mir. In einzelnen Arbeitsgruppen sollen Themen wie Standardisierung, Forschung und Sicherheit sowie Recht, Arbeit, Aus- und Weiterbildung behandelt werden.

Vor Illusionen warnt Heinz-J. Bontrup: »Wer Industrie 4.0 im Kapitalismus steuern will, übernimmt sich«, meint der Ökonom an der Westfälischen Hochschule und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Wenn das Konzept wirklich so komme, wie es Visionäre planten, werde für jeden Mitarbeiter mehr Wertschöpfung erzielt. Dann benötige die Wirtschaft weniger Arbeitskräfte. »Ohne Arbeitszeitverkürzung«, sagt Bontrup, »wird das alles gesellschaftlich ganz grausam werden.« Ähnlich sieht es Klaus Ernst. Der LINKE-Bundestagsabgeordnete warnt zudem gegenüber »nd« vor einer »größeren Polarisierung am Arbeitsmarkt zwischen Beschäftigten mit hohem Qualifikationsprofil und anderen«.

Ministerin Wanka sieht die Gefahr des Stellenabbaus nicht. Die automatisierte Welt verändere aber die Arbeitswelt und ersetze damit klassische Berufsbilder durch andere. Dem gelte es mit Weiterbildungsangeboten Rechnung zu tragen.

Die Antworten der Wirtschaftsverbände klingen aus früheren Auseinandersetzungen vertraut. Automatisierung sei kein Gegensatz zur Schaffung von Arbeitsplätzen, weil sie zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Arbeitsplätzen führe. Wer Anschluss an die Weltwirtschaft halten wolle, müsse moderne Produkte liefern. BDI-Boss Grillo fordert daher einen zügigen Ausbau der Breitbandverkabelung, einen europäischen IT-Datenrahmen sowie die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens TTIP mit den USA.

Zu den Verlierern von Industrie 4.0 könnten kleine und mittlere Firmen gehören. In einer Befragung von Unternehmen aus den Branchen Automobil, Chemie, Elektrotechnik und Maschinenbau schnitten kleine schlechter ab als größere. In der Leitung der Gabriel-Plattform finden sich denn auch die Vorstände der Konzerne SAP, Siemens und Telekom.

Der gewerbliche Mittelstand könnte auch deshalb verlieren, weil es um mehr geht als um eine weitere Automatisierungsrunde. »Die große Veränderung durch Industrie 4.0 liegt in der Veränderung der Geschäftsmodelle«, erklärte ein Bitkom-Sprecher. Zukünftig sollen nicht mehr Produkte sondern Dienstleistungen rund um das Produkt verkauft werden.

Gelobt wird die Gabriel-Initiative von Welf Schröter, Leiter des Forums Soziale Technikgestaltung beim DGB Baden-Württemberg. Endlich werde Industrie 4.0 und die damit verbundenen Gefahren zu »einem öffentlichen Thema«. Neben der Bundespolitik sei eine regionale Industriepolitik gefragt. Die Bundesregierung sei »bereits vom ersten Tag an« gefordert, für flankierende Maßnahmen zu sorgen, fordert auch der Linkspolitiker Ernst. Dazu müsste die Regierung die Gefahren überhaupt benennen. Diesen Punkt lasse Gabriel »völlig unterbelichtet«.

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