»Verstoß gegen die Gleichberechtigung«
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Verhandlung über das Betreuungsgeld begonnen
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe befasst sich seit Dienstag mit der Rechtmäßigkeit des 2013 auf Druck der CSU eingeführten Betreuungsgeldes. Der Erste Senat befasst sich mit der Frage, ob das Gesetz gegen das Verfassungsziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau verstößt - und mit der Frage, ob der Bund überhaupt berechtigt war, das Gesetz zu beschließen. Der Hamburger Senat hat die Klage eingereicht.
Das Betreuungsgeld werfe »etliche staatsorganisationsrechtliche und grundrechtliche Fragen auf«, betonte zu Verhandlungsbeginn der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof. Der Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) sagte, dieses Gesetz sei eine »ungewollte Belohnung für Eltern mit Migrationshintergrund, die wenig oder schlecht deutsch sprechen«. Mit dem Betreuungsgeld von monatlich 150 Euro würden deren Kinder von frühkindlicher Bildung ferngehalten.
Das Betreuungsgeldgesetz falle in den Aufgabenbereich der Länder, sagte Margarete Schuler-Harms als Bevollmächtigte für die Stadt Hamburg. Der Bund hätte die Sozialleistung gar nicht beschließen dürfen. Es widerspreche ferner dem Verfassungsziel der Gleichberechtigung der Geschlechter. Denn es fördere traditionelle Rollenmuster, bei denen Frauen für das Zuhausebleiben belohnt würden. Derzeit sind nach offiziellen Zahlen 94 Prozent der Bezieher des Betreuungsgeldes Frauen und nur sechs Prozent Männer.
Nach dem Gesetz können Eltern, die ihr Kind im Alter vom 15. bis 36. Lebensmonat nicht in eine öffentlich geförderte Betreuungseinrichtung geben, seit dem August 2013 eine finanzielle Zuwendung in Höhe von 100 Euro monatlich beziehen, die zum August 2014 auf 150 Euro erhöht wurde. Seit August 2013 besteht in Deutschland auch ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Ein- bis Dreijährige. Parallel dazu trat auch das Gesetz zum Betreuungsgeld in Kraft.
»Das Betreuungsgeld greift genau da ein, wo die Länder eigentlich selbst gestalten sollen«, sagte auch Friederike Mußgnug für die Diakonie Deutschland. Für den Verband der alleinerziehenden Mütter und Väter sagte deren Bundesvorsitzende Edith Schwab, dass diese das Betreuungsgeld allein schon aus finanziellen Gründen kaum annehmen. Mit dem Betreuungsgeldgesetz werde deshalb die mit dem Gesetz angestrebte Wahlfreiheit für Alleinerziehende nicht erreicht.
Die Bundesregierung hingegen hält das Betreuungsgeldgesetz für verfassungskonform. Der Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, Ralf Kleindiek, erklärte, dass »der Bund Leistungen für Familien zur Verfügung stellen darf«. Ausgerechnet der Vertreter der Bundesregierung hatte als früherer SPD-Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde die Verfassungsklage mit vorbereitet.
Das Betreuungsgeld gewährleiste die Wahlfreiheit der Eltern, sagte Bayerns Familienministerin Emilia Müller (CSU). »Viele Eltern in Deutschland wollen selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für die staatliche Betreuung ihres Kindes ist«, unterstrich Müller. Das Betreuungsgeld sei derzeit für rund 400 000 Eltern eine wichtige Ergänzung und eine Anerkennung für ihre Arbeit zu Hause. epd/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.