»Politische Flitterwochen« in Sri Lanka
Direktor des unabhängigen Friedensrates über die ersten 100 Regierungstage des Präsidenten Sirisena
Sri Lankas Präsident Maithripala Sirisena ist am 18. April 100 Tage im Amt. Welche politischen Akzente hat er in dieser Zeit gesetzt?
Bedeutsam ist die Öffnung demokratischer Freiräume, in denen es den Menschen wieder möglich ist, sich offen und kritisch zu allen gesellschaftspolitischen Fragen zu äußern. Diese zurückgewonnene Freiheit spiegelt sich auch in den Medien wider, die mit ihrer Berichterstattung die Regierungsarbeit kontrovers begleiten.
Unter Ex-Präsident Mahinda Rajapakse war das anders?
Rajapakse stand kritischen Journalisten und zivilgesellschaftlichen Akteuren extrem feindselig gegenüber. Besonders Menschen und Organisationen, die sich für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkrieges und für die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten stark gemacht hatten, wurden als Landesverräter gebrandmarkt und erheblichem politischen Druck ausgesetzt.
Wie verhält sich die neue Regierung?
Zivilgesellschaft und Regierung befinden sich in den politischen Flitterwochen. Mehrere zivilgesellschaftliche Akteure haben Regierungsposten inne. Zudem lässt sich Präsident Sirisena von einem Gremium beraten, dem ebenfalls Vertreter der Zivilgesellschaft angehören.
Vor den Wahlen schien es, als hielte Rajapakse die Macht fest in den Händen.
Während seiner mehr als neunjährigen Präsidentschaft hat Rajapakse seinen Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereichen ausgeweitet. Er höhlte die Unabhängigkeit der Justiz aus, band die Armee eng an sich und degradierte das Parlament zum Ja-Sager seiner Politik. Hinzu kamen dynastische Tendenzen, denn Rajapakse hievte Brüder und Söhne in Schlüsselpositionen. Die Niederlage ist daher nicht zu erwarten gewesen.
Warum wurde er dennoch abgewählt?
Es gab einen Bruch innerhalb des Regierungslagers. Durch die Machtfülle Rajapakses und seiner Familie fühlten sich viele ranghohe Politiker der Freiheitspartei SLFP an den Rand gedrängt. Immer mehr von ihnen kündigten dem Präsidenten die Gefolgschaft. Darunter war auch der damalige Gesundheitsminister Sirisena, der schließlich gegen Rajapakse antrat. Das schwächte die Position des Präsidenten erheblich. Bis dahin hatte er sich bei Wahlen stets auf die nahezu geschlossene Unterstützung der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit verlassen können.
Welche Rolle spielten die Tamilen?
Die Tamilen haben bei Wahlen immer gegen Rajapakse gestimmt - vor allem weil dessen Regierung die politischen und wirtschaftlichen Forderungen der tamilischen Minderheit nach dem Ende des Bürgerkrieges im Jahr 2009 weitgehend ignorierte. Auch Sri Lankas Muslime votierten nahezu geschlossen gegen Rajapakse. Ein Grund dafür waren die vermehrten Übergriffe buddhistischer Extremisten, denen Nähe zur Rajapakse-Regierung nachgesagt wurde.
Fast sechs Jahre nach Ende des Bürgerkrieges hat Präsident Sirisena angekündigt, die Verbrechen aufzuarbeiten. Wie ernst ist es ihm damit?
Sirisena vertritt wie sein Vorgänger den Standpunkt, dass die Aufklärung der Kriegsverbrechen eine innere Angelegenheit Sri Lankas ist. Die laufenden Ermittlungen der Vereinten Nationen, die ihren Bericht in sechs Monaten vorlegen wollen, sieht er deshalb kritisch. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass viele Menschen von ihm eine dauerhafte Lösung des ethnischen Konflikts und die Aussöhnung der sich tief misstrauenden Bevölkerungsgruppen erwarten. Auch deshalb hat er eine transparente innerstaatliche Untersuchung angekündigt.
Allerdings scheint sich die Regierung bislang noch nicht im Klaren darüber zu sein, wie dieses Vorhaben auf den Weg gebracht werden soll.
Warum ist das so schwierig?
Ein Grund dafür ist, dass die Regierung um jeden Preis den Eindruck vermeiden will, sie beuge sich in dieser Frage internationalem Druck. Denn sollte das so sein, würde es zu einer massiven Widerbelebung der antiwestlichen und singhalesisch-nationalistischen Stimmung im Land führen.
Was sind weitere Baustellen?
Der Präsident muss das Vertrauen in die Institutionen wiederherstellen. Rajapakse hat in seiner Amtszeit fast alle Macht auf das Präsidentenamt konzentriert. Er hat das System der Gewaltenteilung ausgehöhlt, Justiz, Verwaltung und Sicherheitsapparat politisch instrumentalisiert. Die neue Regierung hat bereits ein Gesetz vorgelegt, das dem Parlament wieder mehr Rechte einräumen soll. Kritisiert wird Sirisena allerdings dafür, dass er bislang zu wenig gegen Politiker und Funktionäre der Vorgängerregierung unternommen hat, denen Machtmissbrauch und Korruption vorgeworfen werden.
*Stefan Mentschel ist Leiter des Regionalbüros Südasien der Rosa-Luxemburg-Stiftung
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