Vier von acht sind nicht alle
Jörg Meyer über eine Vereinbarung der DGB-Industriegewerkschaften
»Not at all amused.« So lässt sich die Reaktion der DGB-Gewerkschaften beschreiben, die nicht unter der neuen Kooperationsvereinigung stehen. Diese hatten IG Metall, die Chemiegewerkschaft IG BCE, die IG BAU und die Eisenbahnergewerkschaft EVG am Mittwoch zusammen mit DGB-Chef Reiner Hoffmann knapp einer Handvoll Printjournalisten vorgestellt.
Ziel der Abkommens ist, Organisationskonflikte zu vermeiden, beispielsweise wenn zwei Gewerkschaften im gleichen Bereich auf Mitgliederwerbung sind. Denn auch zwischen den Vertretungen der lohnabhängig Beschäftigten herrscht harte Konkurrenz. Mit dem 25-seitigen Papier soll durch klare Regeln zwischen den Industriegewerkschaften der Gang vor die DGB-Schiedsstelle vermieden werden.
So weit so gut, Kooperationsvereinbarungen gibt es auch zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der IG BCE oder der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der IG BAU. Was den nicht Beteiligten Mitgliedern der DGB-Familie aber sauer aufstößt ist, dass sie nicht beteiligt wurden. Dem Vernehmen nach wurden deren Vorsitzende am Montag informiert, es wurde unterzeichnet und die Beteiligten gingen vor die Presse Derlei sucht tatsächlich vergeblich nach einem Präzedenzfall.
Überdies finden sich in der Vereinbarung die Forderungen nach einer Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung, Chancengleichheit in Bildung- und Ausbildung, und eine Qualitätsoffensive in Kitas und Erziehungseinrichtungen. Hierbei handelt es sich um allgemeinpolitische Forderungen, die genuin in den Zuständigkeitsbereich des DGB gehören und nicht in eine Vereinbarung der Industriegewerkschaften. Für Verstimmung sorgte darum auch, dass Hoffmann, selber IG-BCE-abkünftig, an der Vorstellung des Papiers vor der erlesenen Schreiberschar teilnahm. Sein Job ist, den DGB zusammenzuhalten und für die gesamte Familie zu sprechen, nicht bloß für die vermeintlichen Lieblingskinder.
Warum die vier so vorgegangen sind, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Es könnte eine Retourkutsche für die offene Ablehnung des Tarifeinheitsgesetzes durch ver.di, NGG und GEW sein. Auch eine Veränderung des Arbeitsmarktes spielt womöglich eine Rolle: Die strikte Trennung von Industrie und Dienstleistung funktioniert längst nicht mehr, die vier Industriegewerkschaften bringen sich in Stellung. Übrigens: Neben dem Gastgewerbe hat die NGG ihre Schwerpunkte in der Lebensmittelindustrie.
Dass es sich um die Gründungsveranstaltung des »HDGB«, eines »Halben Deutschen Gewerkschaftsbundes« handeln könnte, wie Detlef Esslinger in der »Süddeutschen Zeitung« schrieb, ist sicherlich ironisch formuliert. Dass die Tage des DGB gezählt sind, hört man indes unter der Hand. Dem entgegenzuwirken hilft die jüngste Aktion nicht.
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