Zehntausende protestieren gegen TTIP
Weltweiter Aktionstag gegen umstrittenes Freihandelsabkommen / LINKEN-Chef Riexinger: Selbstverständliche Standards sind gefährdet / Grüne: Bundesregierung muss Kritik am Abkommen ernst nehmen
Update 17.45 Uhr: Und hier noch ein paar internationale Zahlen zu den TTIP-Protesten. In Wien beteiligten sich nach Angaben von Attac Österreich 15.000 Menschen an einer Demonstration durch die Innenstadt, landesweit waren es dem globalisierungskritischen Netzwerke zufolge 22.000 Menschen, darunter 2000 Menschen in Graz.
Auch abseits der großen Städte gingen die Menschen auf die Straße. Einen der wohl ungewöhnlichsten Orte findet sich in Nordfriesland. Am Fähranleger in Dagebüll versammelten sich ebenfalls Gegner des umstrittenen Freihandelsabkommens, wie die Bürerinitiatve gegen ein CO2-Endlager in Nordfriesland auf Twitter berichtet.
Kommune, Lebensmittel, Umwelt, Gesundheit, Arbeitsschutz, Kultur. Worrüber wird bei TTIP eigentlich verhandelt und wer vertritt welche Positionen?
Weitere Proteste mit jeweils mehreren tausend Teilnehmer gab es unter anderen in Brüssel , Prag und Helsinki. Laut Angaben von Attac versammelten sich in Berlin 4000, Leipzig 2000, Nürnberg 2000, Kassel 1200 und in Stuttgart etwa 1000 Menschen.
Update 17.15 Uhr: Ein kurzer Blick nach Bayern, wo es am Nachmittag die zahlenmäßig größten bundesweiten Proteste gab. Allein in München haben 20 000 Demonstranten am Sonnabend gegen das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP protestiert. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, warnte vor einem »Abbau der ökologischen, sozialen und kulturellen Standards«. TTIP stelle einen »umfassenden Angriff auf unsere Lebensqualität« dar. Das Abkommen greife in »sämtliche Lebensbereiche« ein, von Wasser- und Energieversorgung bis zum Gesundheitswesen. Die Buchläden in den Innenstädten drohten zu verschwinden: »Am Ende bestellen wir alle nur noch beiAmazon«, sagte Weiger.
Zu der Kundgebung unter dem Motto »Bürgerrecht statt Konzerndiktatur« hatten BUND, Grüne, Linke, Piraten, ödp, Verdi, Attac und andere Verbände aufgerufen. Mit Transparente wie »Keine Gentechnik auf unseren Tellern« oder »Schwein nur aus der Region« demonstrierten die Teilnehmer gegen das geplante Abkommen. Auch in Nürnberg, Augsburg und Regensburg gingen laut Polizei insgesamt fast 4000 Menschen gegen TTIP auf die Straße.
Update 15.40 Uhr: Tausende Gegner des Freihandelsabkommens TTIP haben bei einem internationalen Aktionstag auch in Deutschland ihren Protest auf die Straße getragen. »Wir wollen damit deutlich machen, dass der Widerstand weitergeht«, sagte am Samstag Roland Süß vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Dieses hatte zahlreiche Veranstaltungen mitorganisiert. Laut Attac waren rund 700 Aktionen in etwa 45 Ländern geplant, davon alleine 200 in Deutschland. Der Protest richtete sich auch gegen das vorgesehene Abkommen mit Kanada (CETA) und ein geplantes Dienstleistungsabkommen mit den Vereinigten Staaten (TISA).
»Es gibt ein ganz großes Risiko: TTIP wird unsere demokratischen Rechte einschränken. Denn in Zukunft werden die Konzerne noch mehr Einfluss darauf haben, wie die Gesetze geschrieben werden«, warnte der Geschäftsführer von Foodwatch, Thilo Bode, im Sender NDR-Info.
Ähnlich äußerte sich LINKE-Chef Bernd Riexinger, der am Samstag an einer Kundgebung in Kassel teilnahm: »Selbstverständliche Standards für Lebensmittel, Umwelt, Beschäftigung, öffentliche Dienste - mit TTIP wird die Welt auf den Kopf gestellt.«
In Köln versammelten sich zum Aktionstag am Samstag einige hundert Menschen. Die TTIP-Gegner verlangten in umgedichteten Karnevalsliedern mehr Schutz für Umwelt, Arbeitnehmer, Konsumenten und deren Gesundheit. In Stuttgart zählte die Polizei rund 1000 Demonstranten.
Die Grünen im Bundestag forderten die Europäische Kommission und die Bundesregierung auf, die Proteste gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ernst zu nehmen. Die Allianz der Gegner reiche mittlerweile von Gewerkschaften und Kirchen über Mittelstandsvertreter und kommunale Verbände bis hin zu Umwelt- und Datenschützern, sagte die Grünen-Abgeordnete Katharina Dröge.
Keine Vorfahrt für Konzerne
Berlin. »Mensch und Umwelt vor Profit!« - das ist das Motto eines internationalen Aktionstags, mit dem Gegner des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP an diesem Sonnabend gegen die Macht der Konzerne protestieren wollen. Dazu rufen zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, Landwirte und indigene Bewegungen aus aller Welt auf. Mehr als 500 Veranstaltungen sind angekündigt.
Im Zentrum der Kritik in Deutschland dürfte SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel stehen. Der laviert angesichts der Widerstände gegen TTIP in seiner Partei zwar rhetorisch, hält den Freihandelsvertrag aber dennoch für notwendig und versucht, kritische Sozialdemokraten auf Linie zu bringen. Nicht nur sie befürchten massive negative Auswirkungen des geheim verhandelten Abkommens auf beinahe alle wichtigen Lebensbereiche. Öffentliche Daseinsvorsorge ist ebenso betroffen wie Ernährung, Umwelt und Gesundheitswesen. »In den letzten Jahrzehnten wurden Geheimverträge und Investitionsabkommen durch Konzerne und Regierungen vorangetrieben - auf Kosten unserer Rechte und der Umwelt«, heißt es dazu im Aufruf zum Aktionstag.
Der Widerstand gegen TTIP und ähnliche Vertragswerke kann sehr unterschiedlich aussehen. In Spanien beispielsweise wurde TTIP erst zum großen Medienthema, als eine erfolgreiche nichtkommerzielle Basiszeitung sich intensiv damit beschäftigte. Zuvor hatten sich die Macher des Blattes »Café amb llet« (Kaffee mit Milch) unter anderem mit Kritik an Privatisierungen im Gesundheitssystem und deren fatalen Folgen und der verbreiteten Korruption eine Namen gemacht. Vor dem Aktionstag gegen TTIP am Samstag brachten sie eine Sonderausgabe heraus. nd
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