»Die Hinterbliebenen warten«
Linksparteivize Caren Lay über Entschädigungsforderungen an die Profiteure der pakistanischen Textilindustrie
nd: Sie waren in Pakistan und haben sich dort auch mit Hinterbliebenen der Opfer des Fabrikbrandes am 11. September 2012 getroffen.
Caren Lay: Genau. In der Textilfabrik der Firma Ali Enterprises, die für die deutsche Firma KiK produziert hat, waren rund 260 Menschen ums Leben gekommen. Und leider ist es so, dass sich die Entschädigungsverhandlungen bis heute hinziehen und eine sehr große Unzufriedenheit bei den Betroffenen herrscht.
Was ist das eindrücklichste Bild, das Sie von ihrer Reise mitgenommen haben?
Wenn man versucht mit den Angehörigen zu sprechen, die den Mann oder den Sohn verloren haben und damit den, der für das gesamte Haushaltseinkommen zuständig war, ist das ein sehr emotionaler Moment. Viele der Betroffenen brechen in Tränen aus, weil sie großes persönliche Leid erlebt haben, den Verlust verschmerzen müssen, aber auch, weil sie bis heute ihre Einkommensgrundlage verloren haben. In der pakistanischen Gesellschaft ist es für Frauen kaum möglich, außerhalb der Heimarbeit tätig zu sein. Deswegen war für mich am bewegendsten zu sehen, dass die Betroffenen bis heute auf ihr Recht warten.
Caren Lay kam am vergangenen Wochenende von einer Reise nach Pakistan wieder. Dort sprach sie mit Gewerkschaftern und mit Hinterbliebenen des verheerenden Brandes in einer Textilfabrik in Karachi. Im September 2011 starben in dem Gebäude des Unternehmens Ali Enterprise rund 260 Menschen. Über ihre Eindrücke sprach die 42-jährige Bundestagsabgeordnete und Vizevorsitzende der Linkspartei mit nd-Redakteur Jörg Meyer.
Kik gibt stets an, schon gezahlt zu haben ...
Das war die erste vereinbarte Tranche. Die anderen Teile der Vereinbarungen stehen bis heute aus. Die NGOs werfen Kik vor, die Verhandlungen wiederholt abgebrochen zu haben. KiK argumentiert, dass die bisherigen Auszahlungen nicht transparent genug erfolgt seien, aber laut den NGOs wurde alles dokumentiert. Letztlich geht es doch darum, dass weitere Entschädigungen gezahlt werden. Es geht um die Zahlung von drei Jahresgehältern, von denen die betroffenen Familien ein gesichertes Einkommen hätten. Insgesamt für Kik sicherlich eine verkraftbare Summe.
Wie groß ist die Unterstützung, die die Betroffenen heute beispielsweise von den Gewerkschaften erfahren?
Man rechnet damit, dass nur ein Prozent der Arbeiter gewerkschaftlich organisiert ist. In der Landwirtschaft ist bis auf eine Provinz gewerkschaftliche Organisation komplett verboten. Und ein weiteres Problem ist, dass der größte Teil der Wirtschaftsleistung im informellen Sektor erbracht wird. Dort gibt es keine Organisierung, keine Rechte, keinen Mindestlohn und keine staatlichen Kontrollen.
Hat sich da nichts geändert? Ich dachte, die Gewerkschaften hätten es nach den Fabrikunglücken vor zwei Jahren ein bisschen leichter. Beispielsweise in Bangladesch ist nach dem Einsturz von Rana Plaza mit über 1000 Toten ein Brandschutzabkommen unterzeichnet worden.
Ich habe auf der Reise die große Unzufriedenheit der Betroffenen mitbekommen. Auch bei Rana Plaza wird den beteiligten Firmen vorgeworfen, dass sie keine Entschädigungszahlungen leisten. Ich glaube die Unglücke haben viele europäische Unternehmen aufgerüttelt, aber leider vorwiegend, weil sie um ihr Image fürchten. Zwar achten sie mittlerweile zunehmend auf die Einhaltung von Standards. Das Problem ist die Abwesenheit staatlicher Kontrollen Die Fabrik von Ali Enterprises beispielsweise war zertifiziert - aber von einem Unternehmen, das für seine Gefälligkeitsgutachten bekannt ist.
Was wären denn weitere notwendige Verbesserungen?
Kontrollierbar sind eigentlich nur die wenigen Firmen im formellen Sektor. Da gibt es auch Fortschritte, beim Brand- und Arbeitsschutz. Aber das Problem ist die Lieferkette, sind die Subunternehmen und auch die Arbeit, die vor allen Dingen von Frauen im informellen Sektor verrichtet wird und die überhaupt nicht kontrollierbar ist. Darauf müsste man achten. Von daher ist es gut, dass in Pakistan jetzt erstmals eine Gewerkschaft für die Frauen im informellen Sektor gegründet wurde. Es ist aber auch ein Problem, dass wir in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht haben. Das muss geändert werden, damit deutsche Firmen, die im Ausland produzieren lassen, auch haftbar gemacht werden können - für die Arbeitsbedingungen, für die sie vor Ort mit verantwortlich sind und von denen sie im wahrsten Sinne des Wortes profitieren.
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