Das Kohle-Endspiel
Menschenkette im Rheinischen Revier, Kumpel vor dem Kanzleramt
Für Franz Alt ist die Sache klar. »Das Endspiel um die Kohle hat begonnen«, schreibt der Journalist, Buchautor und Umweltaktivist auf seiner Webseite »sonnenseite.com«. Anlass für seine Analyse sind zwei Großdemonstrationen am kommenden Samstag: In Berlin erwartet die Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) nach eigenen Angaben 15 000 Anhänger, die gegen einen Kohleausstieg durch die Straßen der Hauptstadt ziehen werden. Ihr Argument: Arbeitsplätze, Versorgungssicherheit und der drohende »soziale Blackout ganzer Regionen«.
Im Rheinischen Braunkohlerevier zwischen Aachen, Mönchengladbach und Köln wird zur gleichen Zeit eine mehrere Kilometer lange Menschenkette am Rand des einst heftig umkämpften Tagebaus Garzweiler II gebildet. Die Veranstalter, neben den drei großen Umweltverbänden BUND, NABU und Greenpeace sind dies auch das Kampagnennetzwerk Campact, Kirchenvertreter und die Klima-Allianz Deutschland, rechnen mit 5000 Teilnehmern. Das wäre der mit Abstand größte Protest, den es im Rheinischen Revier bisher gab. Hier baut der Energiekonzern RWE im großen Stil Braunkohle ab und verstromt sie. Dies zerstöre das Weltklima sowie ganze Dörfer und Landschaften, kritisieren die Organisatoren. Ferner gefährde es durch den Ausstoß von Quecksilber, Arsen und Feinstaub die Gesundheit.
Demonstranten werden aus der ganzen Republik erwartet. Selbst eine mobile Orgel und eine Kamera-Drohne werden mit protestieren. Die Debatte über den »notwendigen Strukturwandel« im Rheinischen Revier müsse endlich beginnen, fordert Versammlungsleiter Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Nordrhein-Westfalen (NRW). Die von RWE dominierte Region spielt für den Geografen eine bedeutsame Rolle: »Wenn NRW hier beim Klimaschutz scheitert, dann scheitert auch die Bundesrepublik.« Das wäre für Jansen »ein fatales Signal für die Verhandlungsrolle Deutschlands« auf dem Pariser UN-Klimagipfel Ende dieses Jahres.
Bisherige Aktionen im Rheinischen Revier verliefen durchaus spektakulär, wobei oft Aktionsformen des radikaleren Teils der Anti-AKW-Bewegung adaptiert wurden. Dazu zählten Baumbesetzungen, um die Rodung des Hambacher Forstes für den dortigen RWE-Tagebau zu behindern. Bundesweite Schlagzeilen machte Ende 2012 der Waldbesetzer »Herr Zimmermann«, der vier Tage lang in einem unterirdischen Tunnelsystem ausharrte, weswegen schwere Räumfahrzeuge das Gelände meiden mussten. Seit Jahren finden regelmäßig Klimacamps im Rheinischen Revier statt - hier wurden Gleise besetzt, um Kohletransporte zu verhindern, oder auch grüne Geschäftsstellen, um auf die Mitverantwortung der in NRW mitregierenden einstigen Öko-Partei hinzuweisen. Auch existieren vor Ort kohlekritische Bürgerinitiativen und die Linkspartei kämpft rührig gegen die RWE-Pläne an, noch größere Kraftwerke zu bauen.
Doch die meisten Einheimischen blieben auf Distanz, und in den nahen Universitätsstädten Köln und Aachen wurde das enorm klimaschädliche Revier vor der eigenen Haustür schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Die großen landespolitischen Schlachten um den Tagebau Garzweiler II wurden in den 1990er Jahren geschlagen, Rot-Grün musste damals manche Zerreißprobe überstehen. Eine Anti-Braunkohle-Demonstration mit 7000 Teilnehmern wie im letzten Sommer in der Lausitz erschien deshalb im Rheinischen Revier bisher undenkbar. Die Menschenkette nebst ihrer vollmundigen Ankündigung - sie ist durchaus ein Wagnis.
Und selbst wenn die erhofften 5000 Demonstranten kommen - dies ist natürlich ein Klacks im Vergleich zu den Menschenmassen, die die Anti-AKW-Bewegung einst zu mobilisieren vermochte und bisweilen noch immer vermag. So demonstrierten 1981 gut 100 000 Menschen gegen das geplante Atomkraftwerk Brokdorf. Auch in jenen Jahren machten die Gewerkschaften mobil - gegen »Spinner und Chaoten«, die angeblich Arbeitsplätze und Versorgungssicherheit gefährdeten. Mitunter wurden Dachlatten im Gepäck mitgeführt.
Kurzum: Der Energiekampf Nummer zwei gegen die Kohle bringt weit weniger Menschen auf die Straße als sein großes Vorbild. Warum? Zugleich aber verfüge das »Team Kohle« über »ein paar wichtige Standortvorteile«, versucht sich Tadzio Müller, Politologe, Klimaaktivist und Referent der LINKE-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, in einer differenzierenden Analyse. So sei das Pro-Kohle-Denken, anders als seinerzeit bei der Atomkraft der Fall, »viel stärker in Alltagsdenken und Apparate eingegraben«. Auch stehe der Protestbewegung mit der IG BCE »eine der konservativsten und gleichzeitig politisch am besten aufgestellten Gewerkschaften der BRD gegenüber«. Auf der Habenseite der Aktiven sieht Müller aber den engen Zeitrahmen, in der die Klimapolitik erfolgreich sein müsse, um den Schaden zumindest zu begrenzen, und zu Pragmatismus zwinge. Auch hänge die »Gegenseite« ökonomisch in den Seilen und politisch stehe ein »Möglichkeitsfenster« offen: »Die Bundesregierung steht unter dem Druck der selbstgesetzten Klimaziele, muss daher über Eingriffe in den fossilen Kraftwerkspark diskutieren.«
»Je mehr sich der ›Anti-Kohle-Kette‹ anschließen, desto schneller erreichen wir die Energiewende«, glaubt Optimist Franz Alt. Vier Fünftel der Deutschen seien für einen Kohleausstieg binnen 25 Jahren, während die »Befürworter der alten Kohlewirtschaft« nur noch »doofe Argumente«, aber keine Zukunftsperspektive anzubieten hätten.
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