Ein Viertel kurz vorm Burn-out
GEW legt Studie zur Arbeitsbelastung von ErzieherInnen im Ganztagsschulbetrieb vor
Annette Stark arbeitet gerne in ihrem Beruf und das seit über 30 Jahren, aber so langsam kommt sie ans Ende ihrer Kräfte. Immerhin, die halben roten Bleistifte, die sie als Ohrringe trägt, zeigen, dass sie noch nicht aufgegeben hat. Stark ist Erzieherin an der Hausburg-Grundschule in Friedrichshain und hat an der Studie »Belastung von Erzieherinnen in der Arbeit an der Schule« teilgenommen, die die Bildungsgewerkschaft GEW Berlin am Mittwoch vorstellte. Insgesamt wurden für die Studie 1435 ErzieherInnen an Berliner Ganztagsgrundschulen per Fragebogen und Interview zu den Themen Arbeitsbedingungen, Belastungen und Zufriedenheit befragt.
Ganz simpel lassen sich die Ergebnisse auf eine Formel bringen: Mehr Personal würde die Arbeit der 5000 PädagogInnen an den 374 Grundschulen, die seit der Schulreform 2005 alle im Ganztagsbetrieb laufen, erheblich vereinfachen. Die GEW fordert, die Personalausstattung auf 110 Prozent aufzustocken, damit KollegInnen, die krankheitsbedingt oder wegen einer Weiterbildung fehlen, vertreten werden können, ohne bei anderen ErzieherInnen zusätzliche Arbeit zu verursachen. Eine ErzieherIn ist laut Studie für 27 SchülerInnen verantwortlich.
Die größten Belastungsfaktoren für ErzieherInnen sind laut der Studie die vielschichtigen Arbeitsaufgaben, die jedoch in keiner Tätigkeitsbeschreibung klar benannt sind, der Lärm und die Raumsituation. Viel zu oft werden SchülerInnen durchgängig in einem Raum unterrichtet und betreut. Fast alle Befragten gaben an, dass es keine Räume zur Erholung an ihrer Schule gibt und immerhin drei Viertel machen keine oder zu wenig Pausen. Häufig kommt es vor, dass ErzieherInnen den Ausfall von LehrerInnen durch Betreuungszeiten ausgleichen müssen. Erzieherinnen fühlen sich dann oft als Lückenbüßer für Lehrkräfte, heißt es in der Studie. Knapp ein Viertel ihrer Zeit verbringen die Pädagogen inzwischen mit der Vor- und Nachbereitung ihrer Arbeit, einen tatsächlichen Rechtsanspruch auf diese Zeit haben sie aber nicht.
Die Auswirkungen einer solchen Arbeitsatmosphäre schlagen sich laut Studie bei vielen in ersten Anzeichen eines Burn-out nieder. Insgesamt 28 Prozent der ErzieherInnen gaben an, sich täglich emotional ausgelaugt oder ausgebrannt zu fühlen.
»Die Kinder merken schon sehr genau, wenn irgendwas nicht stimmt«, sagt Stark. Das häufige Sitzen auf viel zu kleinen Stühlen, die gebückte Haltung beim Spielen mit den Kindern, all das macht sich langsam bemerkbar. Laut der Studie sind Berliner ErzieherInnen im Durchschnitt 47 Jahre alt. Über 55 Jahre sind sogar fast ein Viertel. Gökhan Akgün ist noch jung, 32 Jahre, aber auch er erzählt vom stressigen Arbeitsalltag. »Von uns Jüngeren wird erwartet, dass wir mehr aushalten«, sagt der groß gewachsene Mann. Dabei ist auch er bereits um 7:30 Uhr in der Schule und regelmäßig länger als bis 16 Uhr im Dienst. An seiner Schule in Kreuzberg sind 22 ErzieherInnen beschäftigt. »Es kommt sehr selten vor, dass wirklich alle KollegInnen da sind«, sagt er. Akgün ist koordinierender Erzieher und somit für die Dienstpläne, Elterngespräche, die konzeptionelle Ausgestaltung der Betreuung zuständig. Außerdem vertritt er die ErzieherInnen in schulischen Gremien. Immer häufiger aber springt er auch für fehlende Kollegen ein.
Zu den täglichen Arbeitsbelastungen kommt, dass sich viele ErzieherInnen im Vergleich zum Lehrpersonal nicht ernst genommen fühlen, bzw. ihre Arbeit als weniger Wert empfinden. Dabei sei ihr Arbeitsgebiet überhaupt nicht fest umrissen, was dazu führt, dass LehrerInnen, SchulleiterInnen und Eltern mit den unterschiedlichsten Erwartungen an sie herantreten würden, so ein Fazit der Studie. Die Gewerkschaft will nun mit Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) über die Ergebnisse diskutieren. 500 zusätzliche Stellen und die Anerkennung als gleichwertige Pädagogen stehen dabei für die GEW im Mittelpunkt. »Erzieherinnen sind kein Dienstleistungspersonal«, sagt Doreen Siebernik, Vorsitzende der GEW Berlin.
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