Mindestens 22 Tote bei Gefechten in Mazedonien

Stundenlanger Schusswechsel zwischen Polizei und bewaffneter Gruppe in Kumanovo im Norden des Landes / Regierung spricht von »Terroristen«

  • Thomas Brey
  • Lesedauer: 3 Min.

Update 16.50 Uhr: Bei den schweren Feuergefechten zwischen Polizei und einer bewaffneten Gruppe im Norden Mazedoniens sind seit Samstagmorgen mindestens acht Polizisten und 14 Bewaffnete getötet worden. Zudem seien 37 Polizisten bei dem Einsatz in der Stadt Kumanovo verletzt worden, sagte der Innenministeriumssprecher Ivo Kotevski am Sonntagnachmittag. Die Angreifer bezeichnete er als Mitglieder einer »terroristischen Gruppe«, die aus mutmaßlich ethnischen Albanern aus Mazedonien, dem Kosovo und Albanien gebildet war. Nach Angaben des Sprechers stand der Einsatz gegen die Gruppe kurz vor seiner Beendigung. Am Sonntag waren immer noch sporadisch Schüsse in dem Viertel zu hören. Medienberichte sprachen allerdings von »40 toten Uniformierten«, die nach dem Ende der Polizeiaktion noch identifiziert werden müssten. Nach dem Kosovo und Albanien rief am Sonntag auch die Europäische Union zur Zurückhaltung auf. Der EU-Erweiterungskomissar Johannes Hahn äußerte sich »zutiefst besorgt« über die Gewalt und forderte, jede weitere Eskalation zu vermeiden.

Mazedonien explodiert

Skopje. Kriegsähnliche Bilder in der mazedonischen Stadt Kumanovo: Die Polizei geht mit Panzerwagen und der Spezialeinheit »Tiger« gegen Albaner vor, die mit Maschinengewehren und Granaten bewaffnet sind. »Terroristen aus einem Nachbarland« seien das, sagt Innenministerin Gordana Jankulovska. Aber sie hätten auch starke Unterstützung der örtlichen albanischen Bevölkerung, räumt sie ein.

Die EU reagiert reflexartig und zeigt sich »tief besorgt«. Die OSZE in der Hauptstadt Skopje »verurteilt die Gewalt«. Schon Mitte Februar hatte Johannes Hahn als EU-Nachbarschaftskommissar bei seinem Besuch Mazedoniens den heillos zerstrittenen innenpolitischen Gegnern nur geraten, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen.

Eine aus dem Balkanland geforderte EU-Vermittlung wurde zunächst abgelehnt. In Brüssel hatten Politiker aus der zweiten Reihe des EU-Parlaments einen kurzen, halbherzigen und daher erfolglosen Versuch zur Friedensstiftung unternommen.

Schon 2001 konnten bürgerkriegsähnliche Unruhen zwischen der albanischen Minderheit und der slawischen Bevölkerungsmehrheit Mazedoniens durch eine Vermittlung der EU beendet werden. Viele in diesem Balkanland setzen auch jetzt wieder auf diese Hilfe.

Die alles entscheidende Frage ist, wer steht hinter den Kämpfen und vor allem, warum jetzt? Eine These der Opposition, einiger Journalisten sowie von Vertretern der Zivilgesellschaft: Der seit 2006 amtierende Regierungschef Nikola Gruevski, dem die Opposition seit Monaten mit abgehörten Telefongesprächen eine tiefe Verstrickung in Korruption und Kriminalität vorhält, habe den Konflikt vom Zaun gebrochen, um von seiner misslichen Lage abzulenken.

Nach Demonstrationen in zahlreichen Städten für einen Gruevski-Rücktritt in der letzten Woche, die zum Teil brutal unterdrückt wurden, hat die Opposition für den 17. Mai zum neuen Massenprotest in die Hauptstadt gerufen. Die Regierung soll so zum Rücktritt gezwungen werden.

Die zweite These zu den Hintergründen: Einige Anführer der Albaner, die in Mazedonien bis zu 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, wollten Unruhe schüren, um so besser ihren illegalen Geschäften nachzugehen. Die Unruhestadt Kumanovo liegt an der Schnittstelle zwischen Mazedonien, Serbien und dem Kosovo. Diesseits und jenseits der Grenzen leben Albaner, die Schmuggel im großen Stil betreiben.

Ein Riesengeschäft, für das die Staatsmacht einen weitgehend rechtsfreien Raum ermöglicht. Damit werde zum Beispiel in Mazedonien der albanische Juniorpartner DUI von Gruevski bei der Stange gehalten, heißt es.

Die Opposition boykottiert seit über einem Jahr das Parlament, weil die letzten Parlamentswahlen nach ihrer Meinung im großen Stil von Gruevski gefälscht wurden. Der hat sich vor einer Woche mit sagenhaften 100 Prozent wieder zum Vorsitzenden der Regierungspartei wählen lassen und sitzt dort fest im Sattel. Agenturen/nd

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