Das Guantanamo-Kind
Emran Feroz über die Freilassung von Omar Khadr
Vergangene Woche wurde Omar Khadr nach dreizehnjähriger Gefangenschaft von einem kanadischen Berufungsgericht in die Freiheit entlassen – vorläufig. Der mittlerweile 28-jährige Khadr wurde bekannt als der jüngste Häftling des US-Foltergefängnisses auf Guantanamo. Mit nur fünfzehn Jahren wurde Khadr von US-Soldaten in Afghanistan gefangengenommen. Anfangs landete er im berühmt-berüchtigten Bagram, später in »GTMO« - von einer Hölle in die nächste.
Ins Kriegsgebiet verschlug es Khadr jedoch nicht freiwillig. Vielmehr war sein Vater, ein finanzieller Unterstützer Al-Qaidas, der Berichten zufolge enge Kontakte zu deren Führung pflegte, dafür verantwortlich. Die Khadrs, die ägyptisch-palästinensische Wurzeln haben und seit langem kanadische Staatsbürger sind, lebten in den 1980er-Jahren in Pakistan, wo sie ehrenamtliche Arbeit leisteten und afghanischen Flüchtlingen halfen. Später zog die Familie nach Afghanistan. Ahmad Said Khadr, Omars Vater, pflegte dort Kontakte zu arabischen Extremisten, die sich einst den afghanischen Mudschaheddin angeschlossen hatten, um gegen die sowjetische Besatzung zu kämpfen. 2003 wurde er von pakistanischen Soldaten getötet.
2002, kurz nachdem die US-Invasion in Afghanistan begann, wurde Omar Khadr während einer Hausdurchsuchung in einem Dorf im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet von amerikanischen Soldaten aufgegriffen. Dabei wurden sowohl der Jugendliche als auch ein US-Soldat schwer verletzt. Der Soldat erlag später seinen Verletzungen. Später hieß es, dass Khadr diesen mit einer Handgranate angegriffen hatte, was auch der Grund für seine Verhaftung sowie seine Verurteilung war. Sein Fall wurde als erster Prozess gegen einen Kindersoldaten in der US-Geschichte sowie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges präsentiert.
Während seiner Gefangenschaft erlebte Khadr all jene Praktiken, die mittlerweile aus der US-amerikanischen Folterhölle bekannt sind: Schlafentzug, Vergewaltigungen, tägliches verprügelt werden, grausame Psycho-Spiele und so weiter. Aufnahmen, die später veröffentlicht wurden, zeigten, wie verzweifelt Khadr, damals fast noch ein Kind, war. »Bitte, bringen Sie mich einfach um«, bettelte er immer wieder seine Peiniger an.
Khadrs Situation war selbst für die Zustände in Guantanamo außergewöhnlich. Das fiel auch den anderen Häftlingen auf. »Er sah wie ein Kind aus – sehr dünn, schwach, zerbrechlich, ruhig und schüchtern«, meint etwa Moazzam Begg, ein ehemaliger Häftling, der sich mittlerweile für Menschenrechte und die Schließung des Gefangenenlagers einsetzt. Auch Mohamedou Ould Slahi, der immer noch in Guantanamo sitzt, erwähnt Khadr in seinem »Guantanamo-Tagebuch« und beschreibt, dass dieser einfach noch »zu jung für das Ganze« gewesen sei.
Anderswo wollte man davon jedoch nichts wissen. Die kanadische Regierung tat in all den Jahren nichts, um einen ihrer Staatsbürger, der auch noch minderjährig war, aus der Folterhölle, deren Existenz gegen alle Menschen- und Völkerrechte verstößt, zu befreien. Stattdessen nahmen Beamte des kanadischen Geheimdienstes sogar an den Verhören auf Guantanamo teil.
Im Laufe der Jahre blieb Kanada seiner Einstellung treu. 2011 wurde Khadr endgültig den kanadischen Behörden übergeben. Man entließ ihn allerdings nicht in die Freiheit, wie es mit den meisten westlichen Guantanamo-Gefangenen geschah, etwa mit Murat Kurnaz in Deutschland, sondern steckte ihn ein weiteres Mal in eine Zelle. Verantwortlich hierfür ist vor allem die konservative Regierung Kanadas, die immer noch eng mit den USA zusammenarbeitet und in Khadr weiterhin einen »Terroristen« sieht.
Ja, Khadr, der vorerst bei seinem Anwalt leben wird und sich ein neues Leben aufbauen möchte, wird immer noch als Gefahr betrachtet. Sollte sich das Szenario nach dem Willen der verantwortlichen Politiker richten, so wurde seine Gefangenschaft nur vorläufig beendet. Abgesehen davon, dass Khadr sich nur unter Auflagen auf freiem Fuß befindet – er darf nicht reisen und wird elektronisch überwacht – hatte die kanadische Regierung schon im Vorgeld angegeben, gegen den Gerichtsentscheid vorzugehen. Als Grund hieß es unter anderem, dass dieser das Vertrauen in das Justizsystem untergrabe. Auf die Idee, dass ein Ort wie Guantanamo genau das seit mehr als einem Jahrzehnt tut, kommt anscheinend niemand.
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