Schuften in der Wüste

Ägypten verbreitert den Suez-Kanal und will sich eine neue Hauptstadt bauen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Megaprojekten will Ägyptens Regierung Investoren und damit neues Geld ins Land holen - auf Kosten der Arbeiter, die unter extremen Bedingungen schuften. Gewerkschafter sind alarmiert.

Nur wenige Kilometer hinter Suez ist die Fahrt zu Ende. »Zur Baustelle?«, sagt der Soldat an der Straßensperre, hebt drohend den Finger: »Keine Journalisten!« Denn nichts soll, da ist Abdullah Hassan von der ägyptischen Vereinigung der unabhängigen Arbeiter (EFITU), überzeugt, die heile Welt beschädigen: Immer wieder zeigt das ägyptische Staatsfernsehen Bilder von lachenden Arbeitern, die den Wüstenboden aufreißen, mit Baggern und Schaufeln. Man arbeite Tag und Nacht daran, die nationale Aufgabe zu erfüllen. Dann folgen stets die neuesten Erfolgsmeldungen.

Innerhalb von nur einem Jahr, das war die Ansage der Regierung im vergangenen August, solle eine zweite Fahrrinne für den Suez-Kanal gebaut werden. Zusätzliche Milliarden, harte Währung, soll dies in die klammen Kassen spülen. Doch zunächst einmal flossen die Ersparnisse der Bevölkerung: Viele Ägypter kauften Anleihen zur Finanzierung des Projektes - und bekommen dafür Erfolgsmeldungen geliefert.

Die Realität sieht indes anders aus: Offiziell schuften 100 000 Arbeiter bis zu zwölf Stunden täglich im heißen Klima; einen freien Tag pro Woche gibt es. »Oft bekommen die Arbeiter aber alle 14 Tage zwei Tage frei«, sagt Gewerkschafter Abdullah Hassan.

Ursprünglich waren sie von den versprochenen hohen Löhnen angelockt worden; umgerechnet an die 500 Euro im Monat sollten ihnen gezahlt werden. »Doch unsere Leute berichten, es würden stets nur maximal 120 Euro ausgezahlt, den Rest soll es geben, wenn die Arbeiten fertig sind,« sagt Hassan. Er sieht dies als Druckmittel, um die Leute von der Kündigung abzuhalten: »Viele haben Familie, hatten darauf gehofft, sich etwas ansparen zu können, um der Armut zu entkommen.« Ein Großteil der Arbeiten wird von staatlichen Unternehmen betrieben, fast das gesamte Projekt steht unter der Hoheit des Militärs. »Damit kann die Armee entscheiden, wer wie oft, wie lange arbeitet, und wann die Löhne ausgezahlt werden«, sagt der Gewerkschafter, der von einem Informantennetz abhängig ist, denn Gewerkschaften wie die EFITU haben ebenfalls keinen Zutritt zur Baustelle.

Stattdessen sind die Arbeiter, wie in anderen staatlichen Unternehmen und Behörden auch, in der Egyptian Trade Union Federation (ETUF), dem staatlich kontrollierten Gewerkschaftsdachverband zwangsorganisiert. Die Funktionäre des Verbandes werden von der Regierung ausgewählt, kontrollieren die Rentenkassen, und können Leute feuern und Lohnkürzungen zustimmen. Methoden, die vor allem dazu da sind, um Entscheidungen der Unternehmensführung abzusegnen. Und mal als Sanktion deklariert werden. Oder, wie im Fall des Suez-Projekts, als Mittel der »Arbeitsplatzsicherung«, wie ETUF-Funktionäre sagen: Die Entbehrungen Weniger seien der Preis für die Arbeit Vieler, sagen sie, und verweisen auf die »eine Million Arbeitsplätze«, die in Industriegebieten entlang des Kanals entstehen sollen.

Doch die Einschränkungen sind nicht nur finanzieller Natur: Ärzte, die im Laufe der vergangenen Monate entlang der Baustelle für die medizinische Versorgung abgestellt waren, berichten von schweren und schwersten Verletzungen und Todesfällen, die auf mangelhafte Bausicherung, überlange Arbeitszeiten und große Hitze zurück zu führen sind.

Mehrere Klagen vor Arbeitsgerichten wurden abgewiesen: Fürs Militär seien die Militärgerichte zuständig. Doch Klagen dort sind von der Zustimmung des Militärs abhängig.

Und so konzentriert man sich bei der EFITU, gemeinsam mit einigen kleineren Verbänden, nun darauf, die Bedingungen bekannter zu machen. Denn in diesen Tagen beginnt ein weiteres Großprojekt: In maximal sieben Jahren soll eine neue, 700 Quadratkilometer große, Hauptstadt entstehen. Zwar wird diesmal von Privatfirmen aus der Golfregion gebaut. Doch die Gewerkschafter befürchten, dass die Regierung als Gegenleistung für die Milliardeninvestitionen bei den Arbeitnehmerrechten weg schaut. »Wenn wir die Regierung dazu bringen könnten, sich mehr um die Arbeiter zu kümmern, wäre das ein riesiger Erfolg,« sagt Hassan.

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