»Solln's froh sein, dass sie was kriegn!«
Emran Feroz über die Flüchtlingspolitik in Österreich
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen so gut wie alle EU-Mitgliedsstaaten aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik in Kritik. Es ist nur allzu offensichtlich, dass die jüngsten Tragödien, pardon, die Massenmorde im Mittelmeer die Debatte wieder in Gang gebracht haben. Nichtsdestotrotz versuchen vor allem die westeuropäischen Staaten ein weiteres Mal von der Schuldfrage abzulenken. Man will gegen die grausamen Schlepper, die mit Menschenleben spielen, hart vorgehen. So lautet zumindest der Tenor, auch seitens der Bundesregierung. Dass die EU und ihre teils eigenständig gewordenen Institutionen, allen voran die Flüchtlingsjäger von Frontex, das Hauptproblem sind und besagte Schlepper nur ein Symptom, will niemand eingestehen.
Stattdessen versucht man sich auf der Suche nach Lösungen an Staaten zu orientieren, deren Flüchtlingspolitik, gelinde gesagt, mehr als fragwürdig ist. Einer dieser Staaten ist zum Beispiel Australien. Seit geraumer Zeit geht die australische Marine strikt gegen Flüchtlingsboote vor, indem sie diese mit allen Mitteln zurückschickt – egal, was für ein Schicksal sie erwartet. Mittels einer Videobotschaft sowie zahlreichen Flyern, die in mehrere Sprachen übersetzt und in den Herkunftsländern verteilt wurden, will man den potenziellen Flüchtlingen klarmachen, dass sie in Australien nicht willkommen sind. Dass dies ausgerechnet von der Regierung eines Landes kommt, welches einst von Häftlingen gegründet wurde, indem man die indigene Bevölkerung systematisch verjagt und nahezu ausgerottet hat, macht das Ganze umso paradoxer. Doch das ist ein anderes Thema.
Obwohl man in Brüssel und anderswo vorgibt, nicht viel vom australischen Modell zu halten, macht es teils woanders Schule. In Österreich hat man nun beschlossen, Flüchtlinge in Zelten und Containern unterzubringen. Zelte, etwa wie im syrischen Yarmouk oder im pakistanischen Peschawar. Der angebliche Grund: Es gibt einfach keinen Platz mehr. Dem ist allerdings nicht so, vor allem, wenn man die Tatsache bedenkt, wie wenig Flüchtlinge Österreich aufnimmt. Nachdem das Chaos in Syrien ausbrach und man von Millionen von Flüchtlingen sprach, zeigte sich das gastfreundliche Österreich großzügig. 500 Menschen wollte man aufnehmen, vornehmlich Christen. Nachdem der internationale Druck wuchs, vor allem weil Staaten wie die Türkei, der Libanon oder Jordanien Hunderttausende von Syrer aufnahmen, war man widerwillig bereit, weitere 1.000 Menschen aufzunehmen. Mehr aber auch nicht.
Hinter Österreichs Flüchtlingspolitik steckt System. Die gegenwärtige Zelt-und-Container-Kampagne hat wie die australische Kampagne vor allem folgendes Kalkül: Die Nachricht soll die Herkunftsländer der Flüchtlinge, etwa Afghanistan, Syrien oder den Irak, erreichen, damit niemand mehr auf die Idee kommt, ins Alpenland zu fliehen. Von einem Zelt ins andere, wer will das schon? Abgesehen davon sind auch die Zustände in zahlreichen österreichischen Flüchtlingsheimen alles andere als passabel. Nicht selten werden mehrere Personen in engen Zimmern zusammengepfercht, während Dutzende sich Bad und Klo teilen. Währenddessen liegen viele Gebäude abgelegen und sind streng gesichert. Sicherheitsbeamte patrouillieren. Ein Hauch von Gefängnis liegt in der Luft. Und zum Essen gibt es, was auf den Tisch kommt. Muslimischen Flüchtlingen wird oft und heimlich Schweinefleisch serviert, da dieses billiger ist.
Die Geldfrage wird beim Thema Flüchtlingspolitik oft übergangen. Dabei boomt das Geschäft. Zahlreiche Hotels und Pensionen haben umstrukturiert und fungieren mittlerweile als Flüchtlingsunterkünfte. Die staatlichen Subventionen sind verlockend. Wer braucht schon reiche Touristen aus Russland, Japan oder den USA, wenn das Aufnehmen von Somaliern, Afghanen, Irakern oder Syrien, die vor Krieg und Hunger geflohen sind, lukrativer ist? Nicht selten wird dabei nur auf das Geld geachtet, nicht auf den Menschen. Dabei sparen die Betreiber, wo es geht – eben auch beim Fleisch – um die eigenen Taschen zu füllen.
Das flüchtlingsfeindliche Klima in Österreich merkt man vor allem an den Wahlergebnissen. Mittlerweile wählt fast jeder fünfte Österreicher, der zur Wahlurne geht, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), die man nicht nur als rechtspopulistisch, sondern zu Recht auch als rechtsextrem bezeichnen kann. Wahlslogans, die jener der FPÖ ähnlich sind, findet man in Deutschland nur bei der NPD.
Der österreichische Fremdenhass sickert tief in die Gesellschaft. Während meiner Zeit als Dolmetscher durfte ich mir beim Bundesasylamt anhören, wie sehr man sich schon auf den Wahlsieg der FPÖ freue – von Beamten, die tagtäglich mit Flüchtlingen zu tun haben. Und wie die Polizei, die gerne mit dem FPÖ-Parteichef auf Wahlplakaten posiert, ab und an mit frisch angekommenen Flüchtlingen umgeht, wollen viele erst gar nicht wissen.
»Solln's froh sein, dass sie was kriegn«, ist die Standardeinstellung vieler Österreicher in Bezug auf Flüchtlinge. Denn selbst Container und Zelte werden ja immer noch vom österreichischen Steuerzahler bezahlt.
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