Hamburger Justiz streitet über Gysi-Anklage
Staatsanwalt will Linkenpolitiker nicht anklagen – sein Vorgesetzter hat das nun angewiesen / Justizsenator muss über Beschwerde gegen den Ukas entscheiden / Sprecher der Linksfraktion warnt vor »Politisierung des Verfahrens«
Update 21.5., 13.30 Uhr: Der Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat das Vorgehen des Generalstaatsanwalts in der Hansestadt als einen »politischen Skandal« bezeichnet. Gegenüber der »Mitteldeutschen Zeitung« sagte er, »auch für Generalstaatsanwälte sollte die Unabhängigkeit der Justiz gelten.« Dagegen riet der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld der Hamburger Staatsanwaltschaft, »dem juristisch-politischen Hick-Hack um Gregor Gysis Vergangenheit endlich ein Ende zu setzen«. Lengsfeld, dessen Mutter zu denen gehört, die Gysi wegen angeblicher Falschaussage anzeigten, erklärte, der Linkenpolitiker habe »sich seiner Verantwortung bis dato nie gestellt«. Eine Anklageerhebung »würde Gysi, entlastet von seinen Ämtern, die Möglichkeit geben, mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen.
Hamburger Justiz streitet über Gysi-Anklage
Berlin. Weil ein Hamburger Staatsanwalt sich nicht von seinem Vorgesetzten anweisen lassen will, den Linken-Politiker Gregor Gysi ohne ausreichenden Verdacht vor Gericht zu bringen, muss nun der Hamburger Justizsenator Till Steffen von den Grünen über eine Beschwerde entscheiden. Dies berichten NDR, WDR und die «Süddeutsche Zeitung».
Der Fall hat einen langen Vorlauf: Seit zweieinhalb Jahren ermittelt die Hamburger Staatsanwalt gegen Gysi wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung, die er zu angeblichen Kontakten mit dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit abgegeben hat. Er habe «zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet”, hatte Gysi darin erklärt – um sich gegen eine NDR-Dokumentation zu wehren, in der unter dem Titel »Die Akte Gysi« über angebliche Kontakte des damaligen DDR-Rechtsanwalts berichtet wurde. Ein pensionierter Münchner Richter hatte Strafanzeige erstattet, später tat dies auch die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld.
Gysi muss es seit Jahren wiederholen: Er habe nicht an den Geheimdienst berichtet. Der Linkenpolitiker ging gegen entsprechende Behauptungen auch erfolgreich juristisch vor. Im Fall, der in Hamburg anhängig ist, wurde immer wieder ein zügiger Abschluss des Ermittlungsverfahrens angekündigt. Inzwischen ist jedoch innerhalb der dortigen Justiz ein vehementer Streit entbrannt, ob nun Anklage erhoben werden soll oder nicht.
Juristisch müsste ein »hinreichender Tatverdacht« gegen Gysi vorliegen. Mehrfach soll das Verfahren vor dem Abschluss gestanden haben. Doch der Behördenleiter, der Hamburger Generalstaatsanwalt Lutz von Selle, intervenierte laut der Berichte – und erteilte Weisung, den Linkenpolitiker anzuklagen. Der mit dem Fall betraute Staatsanwalt betrachtet den Vorgang ganz anders: Er sieht offenbar keinen »hinreichenden Tatverdacht« und weigert sich deshalb, Anklage zu erheben.
Über von Selle schrieb das »Hamburger Abendblatt« einmal, er habe in der Behörde »den Ruf des Hardliners und Pedanten«. Der ermittelnde Staatsanwalt hat inzwischen Beschwerde gegen die Anweisung des Generalstaatsanwalts beim Hamburger Justizsenator eingelegt. Der Fall liegt nun seit rund zwei Wochen bei dem Grünen-Politiker, der entscheiden muss, ob er die Anweisung für rechtswidrig hält. Diese Prüfung dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen, berichten die Sender und das Blatt vorab.
Der Sprecher der Linksfraktion, Hendrik Thalheim, sagte, »vom Justizsenator ist zu erwarten, dass er Versuche, das Verfahren weiter zu politisieren, zurückweist und die Entscheidung wieder in die Hände des sachlich zuständigen Oberstaatsanwaltes legt und ihn von politischen Einflussnahmen freihält.«
Eine Sprecherin der Justizbehörde bestätigte den Eingang einer Beschwerde aus der Staatsanwaltschaft, wollte sich zu Details aber nicht äußern. »Der Justizbehörde Hamburg liegt nun eine Beschwerde eines Beamten gegen eine Weisung vor, die er für nicht rechtmäßig hält. Und darüber, über diese Beschwerde, müssen wir nun entscheiden«, wurde die Sprecherin der Justizbehörde, Marion Klabunde, zitiert. Die Staatsanwaltschaft Hamburg teilte mit, dass das Ermittlungsverfahren gegen Gysi noch nicht abgeschlossen sei. Zu internen Vorgängen könne man aber keine Auskünfte erteilen. nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.