»Mehr Lohn heißt nicht teure Tickets«
Die Brandenburger Landtagsabgeordnete Anita Tack von der Linkspartei über die Konsequenzen aus dem Nahverkehrsstreik
Die LINKE hat sich solidarisch erklärt mit dem Streik der Bus- und Straßenbahnfahrer in Brandenburg. War das nur der erforderliche sozialistische Reflex oder steckte mehr dahinter. Wie notwendig sind höhere Löhne im Nahverkehr?
Das Streikrecht zu sichern und als Grundrecht zu wahren, das hält die LINKE für ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Schließlich geht es im Tarifkampf um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Berufsgruppe der Bus- und Straßenbahnfahrerinnen und -fahrer. Und das ist nötig angesichts der unzureichenden Bezahlung vor allem in den unteren Tarifgruppen und der großen Verantwortung, die die Kolleginnen und Kollegen bei der Sicherstellung guter Mobilitätsleistungen für die Bevölkerung tragen. Es geht um mehr Gerechtigkeit. Streik ist nur wirkungsvoll, wenn er auch öffentlich bemerkt wird.
Wie werden die Lohnerhöhungen bezahlt? Drohen steigende Ticketpreise?
Die Landkreise und kreisfreien Städte sind in Brandenburg die gesetzlichen Aufgabenträger für den öffentlichen Personennahverkehr mit Bussen und Straßenbahnen (ÖPNV). Sie erhalten dafür auch Gelder aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes. Deshalb setzen sich die Bundesländer sehr vehement dafür ein, dass diese Bundesmittel endlich erhöht und zukunftssicher ausgestaltet werden. Für den Schülerverkehr im Land gibt es extra Geld, und auch für das Mobilitätsticket genannte Sozialticket im Geltungsbereich Brandenburg werden die Mittel aus dem Landeshaushalt finanziert. Steigende Energie- und andere Betriebskosten und höhere Tarife müssen zusätzlich bezahlt werden. Da gibt es Landkreise, denen fällt das leichter, das Geld aufzubringen, anderen wegen hoher Verschuldungen eher sehr schwer. Der Regionalverkehr in Berlin und Brandenburg ist im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) organisiert, und es gibt ein gemeinsames Tarifsystem. Erzielte Einnahmen werden entsprechend den Verkehrsanteilen aufgeteilt. Wenn das Geld dann nicht reicht, kommt es zu Fahrpreiserhöhungen, um die zusätzlichen finanziellen Belastungen auszugleichen, die Verkehrsangebote zu sichern und eben nicht zu reduzieren oder gar abzubestellen. Fahrpreiserhöhungen im VBB sieht die LINKE immer sehr kritisch, weil sie oftmals dazu führen, dass doch wieder aufs Auto umgestiegen wird. Und das ist sozial-, verkehrs- und umweltpolitisch kontraproduktiv. Wir wollen, dass neue Wege gegangen werden, dass nicht länger eine nachfrageorientierte, sondern eine Anreiz schaffende Verkehrspolitik für die Bevölkerung umgesetzt wird. Auch könnte die Ticketpreiserhöhung nach gesetzlichen Regeln an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten gekoppelt werden. Das schafft Transparenz und Akzeptanz. Der soziale Ausgleich erfolgt dann über die Nutzung des Sozialtickets. Auch das Semesterticket, das von allen Studierenden finanziert und von vielen auch genutzt wird, ist ein gutes Modell für nachhaltige Mobilität. Die Angebote werden immer besser auf die Bedürfnisse der Studierenden zugeschnitten und gewinnen Akzeptanz.
So oder so müssen doch am Ende die Landkreise finanziell aushelfen, falls bei den kommunalen Verkehrsbetrieben wegen der Lohnerhöhung die Kalkulation nicht mehr stimmt?
Nach den jüngsten Steuerschätzungen werden die Einnahmen auf kommunaler Ebene steigen, ebenso die Umverteilung der Landesmittel auf die Städte und Gemeinden, die alle bisherigen Zuweisungen insgesamt übersteigen wird. Auch weitere Programme des Landes zugunsten kommunaler Projekte werden in der Summe gewisse Spielräume zur weiteren Ausgestaltung des ÖPNV in den Landkreisen und kreisfreien Städten ergeben.
Sie haben gefordert, der Bund müsse die Regionalisierungsmittel erhöhen, die eigentlich für die Regionalzüge gedacht sind. Inwiefern käme das dem Bus- und Straßenbahnverkehr zugute?
Brandenburg finanziert ja schon den Schienenfernverkehr mit, für den der Bund zuständig ist. Nämlich immer dann, wenn im Fernverkehr Leistungen abbestellt werden, zum Beispiel Städteschnellverkehr, Nachtzüge, Autozüge. Dafür müssen durch die Länder Ausgleiche und Alternativen geschaffen werden. Hier ist es inzwischen zu spürbaren Ungleichgewichten gekommen. Deshalb hat die rot-rote Koalition im Landtag die Forderung aller Landesverkehrsminister unterstützt, der Bund möge ein Gesetz für den Schienenpersonenfernverkehr verabschieden, der den Anforderungen nach zukunftsfähiger Mobilität und ausreichender Finanzierung gerecht wird. Auch die sogenannten Entflechtungsmittel des Bundes können bei der Finanzierung des ÖPNV helfen.
Sie nannten Jobtickets als einen der Wege zur Entspannung der Verkehrssituation. Was ist ein Jobticket und was kann es bewirken?
Jobtickets sind finanzielle Anreize, um das Auto stehen zu lassen. Sie werden vom Arbeitgeber für Beschäftigte vereinbart, damit der Arbeitsweg mit dem ÖPNV bewältigt wird. Das stärkt den ÖPNV, bringt sichere Einnahmen und entlastet die Städte vom Autoverkehr in den Spitzenzeiten des Berufsverkehrs, trägt zu besserer Luft und weniger Verkehrslärm bei und kommt somit vielen zugute. Gerade in Potsdam bietet es sich an, dieses Ticket gezielt zur Anwendung zu bringen, denn hier gibt es einen starken Ziel- und Quellverkehr durch die hohe Konzentration von Arbeitsplätzen in der Landes- und Kommunalverwaltung und in zahlreichen öffentlichen Einrichtungen. Wie die Situation zurzeit konkret ist und welche Initiativen unterstützt werden, erfrage ich gerade über eine parlamentarische Anfrage an die Landesregierung.
Der Koalitionsvertrag von SPD und LINKE dringt darauf, das brandenburgische Mobilitätsticket und das Berliner Sozialticket miteinander zu verbinden. Wie weit ist dieses Vorhaben gediehen?
Zurzeit gilt das Mobilitätsticket nur für das Land Brandenburg. Wir halten es für richtig, Berlin bei der Nutzung des Tickets mit einzubeziehen und das Mobilitätsticket mit dem Berliner Sozialticket kompatibel zu machen. Anspruch darauf haben ALG II-Empfänger, Asylbewerber, Bedarfsgemeinschaften und Bezieher von Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch XII. Das ist ein Personenkreis, der unserer Ansicht nach dringend bessere Mobilitätsbedingungen durch die Nutzung des Tickets im gesamten Bereich des Verkehrsverbundes VBB haben sollte, für die Arbeitsplatzsuche und für die Teilhabe am öffentlichen Leben. Darum gilt es, mit dem Land Berlin zu verhandeln.
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