Überstunden hamstern für den Jahresurlaub

Sozialarbeiter bei freien Trägern der Jugendarbeit sind vielfach in unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt

Extrem unsichere Einkommen, unbezahlte Arbeitszeit und befristete Verträge: Viele Sozialpädagogen, die bei freien Trägern in der Jugendhilfe arbeiten, sind unzufrieden mit ihrem Job.

Über die Diskussion um flexible Arbeitszeitmodelle statt der starren acht Stunden Woche kann Harald Weil nur gequält lachen. Er arbeitet seit Jahren in der ambulanten Jugendhilfe bei einem freien Träger in Spandau und sein Arbeitsalltag hängt maßgeblich davon ab, wie viele Familien gerade seine Hilfe brauchen. Seine Bezahlung damit auch.

Mal hat Weil einen »entspannten Tag«, dann besucht er zwischen acht Uhr morgens und 15 Uhr drei Familien. An anderen Tagen ist er über neun Stunden unterwegs vom Jobcenter übers Familiengericht bis zum Hausbesuch. Bezahlt werden ihm die Fahrtwege zwischen den einzelnen Stationen nicht und im Gegensatz zu seinen Kollegen im öffentlichen Dienst bekommt er nur 20 Prozent ihres Gehaltes. »Im Bereich der Jugendhilfe hat so gut wie kein freier Träger einen Tarifvertrag abgeschlossen«, sagt Andreas Kraft vom Vorstandsbereich Kinder- und Jugendhilfe bei der Bildungsgewerkschaft GEW Berlin. Bezahlt wird oft nach Stunden, die nicht selten an die Betreuungszeiten für die einzelnen Familien gekoppelt sind. Pro Familie sind das etwa 4,5 Stunden in der Woche.

Viele Sozialpädagogen bei den mittlerweile rund 6000 freien Trägern in der sozialen Arbeit haben sogenannte Sockelarbeitsverträge, d.h. ihnen wird nur eine bestimmte Wochenarbeitszeit garantiert bezahlt. Alles, was darüber hinausgeht, wird optional als Mehrarbeit vergütet. Die Mitarbeiter sind also extrem davon abhängig, wie viele Fälle das Jugendamt an den Träger weiterreicht. »Das unternehmerische Risiko wird dabei komplett auf die Mitarbeiter abgewälzt«, sagt Cécile Schulz, die bei einem Jugendträger in Neukölln arbeitet. Seit einiger Zeit soll ihr Träger auch auf Anfrage des Jugendamtes sogenannte Krisenteams stellen, die ad hoc Familien betreuen können. »Dafür müssen wir zusätzliche Kapazitäten freihalten«, sagt Schulz.

In Zeiten, in denen ein Sozialarbeiter weniger Familien betreut als sein Arbeitsvertrag ihm garantiert bezahlt, kann es vorkommen, dass sein Arbeitszeitkonto ins Minus rutscht, erzählt Schulz. Kollegen ließen sich dann ihr Monatsgehalt auszahlen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Die fehlenden Stunden müssen sie nacharbeiten. »Wir arbeiten in einer sehr unsicheren Arbeitssituation und wissen nie, was am Ende des Monats dabei rum kommt. Schwer ist das vor allem, wenn man selbst Familie hat«, sagt Schulz. Einige ihrer KollegInnen sammeln sich über die Monate Hunderte von Überstunden an, um sie für die mauen Zeiten aufzusparen. Teilweise kommen bei einigen so bis zu 800 Überstunden zusammen.

Es sei auch schon vorgekommen, dass Mitarbeiter Arbeitsverträge pro Familie erhielten und so über die Jahre mit bis zu 80 verschiedenen Arbeitsverträgen hantieren, sagt Sabine Herzig, Referentin für Tarifpolitik bei der GEW. Eigentlich ist eine Entlohnung gekoppelt an eine Fallzahl rechtswidrig, sagt Andreas Kraft. Zu wenige Kolleginnen klagen allerdings gegen ihre Arbeitsverträge, auch aus Angst, den Job zu verlieren. Die Gewerkschaft fordert neben einer gerechteren Bezahlung, die an den Tariflohn angelehnt ist und unbefristeten Arbeitsverträgen auch, dass der Senat als Kostenträger verantwortungsvoller auftreten müsse. »Es sollten nur noch Verträge mit den Trägern abgeschlossen werden, die mindestens nach Tarif zahlen«, sagt Kraft.

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