Der angedeutete Aufstand

In der SPD herrscht Unmut über die vom Kabinett beschlossene Datenspeicherung

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Mehr als 100 Gliederungen der SPD unterstützen einen Antrag gegen die Vorratsdatenspeicherung. Dass die internen Kritiker die Politik der Großen Koalition blockieren können, ist aber unwahrscheinlich.

Der Streit in der SPD über die Vorratsdatenspeicherung soll hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden. Am 20. Juni kommen die Sozialdemokraten zu einem geheim tagenden Kleinen Parteitag im Berliner Willy-Brandt-Haus zusammen. Wie heikel das Thema für die Parteiführung ist, wird bereits in der Ankündigung der Veranstaltung deutlich. Dort werden zentrale Konfliktpunkte lediglich in einem Nebensatz erwähnt. »Themen wie Lohngerechtigkeit, das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP und die Vorratsdatenspeicherung werden die Delegierten des SPD-Parteikonvents ebenfalls diskutieren«, heißt es auf der SPD-Website. Schwerpunkt des Treffens ist demnach angeblich die Familienpolitik, über die nicht viel Neues zu berichten sein wird.

Der Widerstand in der SPD gegen die am Mittwoch vom Kabinett beschlossene Vorratsdatenspeicherung ist beachtlich. Mehr als 100 Gliederungen der Partei haben sich gegen die anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten ausgesprochen. Darunter sind der Landesverband Berlin, der Juso-Bundesverband sowie große SPD-Unterbezirke wie Dortmund, Münster und Aachen. Einige sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete haben sich ebenfalls ablehnend über die Datenspeicherung geäußert. Ihre Kritik richtet sich auch gegen SPD-Chef Sigmar Gabriel, der ein Befürworter dieses Instruments ist. Nach den Terroranschlägen von Paris zu Beginn dieses Jahres hatte Gabriel seinen Parteikollegen, Justizminister Heiko Maas, unter Druck gesetzt, mit Innenressortchef Thomas de Maizière (CDU) bei dem Thema zu einer Einigung zu kommen. Gabriels Argumentation war allerdings nicht schlüssig. Denn Frankreich hat längst eine Vorratsdatenspeicherung, die weder zur Verhinderung noch zur Aufklärung der Anschläge beitragen konnte.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich nun auf einen Kompromiss geeinigt, wonach Verbindungsdaten zur Telefon- und Internetkommunikation der Bürger künftig zehn Wochen lang systematisch gespeichert werden sollen. Informationen über den Aufenthaltsort sollen vier Wochen lang aufbewahrt werden. Von der Speicherung ausgenommen sind Daten von E-Mails. Auch die Inhalte der Kommunikation sowie die von Bürgern aufgerufenen Internetseiten sollen nicht gespeichert werden.

Wenig glaubwürdig hat sich Heiko Maas in den vergangenen Monaten präsentiert. Er wollte sich eigentlich als Gegner der Vorratsdatenspeicherung profilieren. Im Dezember hatte der SPD-Politiker noch verkündet, dass es für das Massenspeichern auf Vorrat und ohne Anlass »kein deutsches Gesetz geben« werde. Nun verteidigte Maas seinen Gesetzentwurf als »vernünftigen Kompromiss«. Nachdem in den vergangenen Jahren die deutsche Vorratsdatenspeicherung und die EU-Richtlinie von Gerichten gekippt worden waren, meinte Maas, dass nun die gerichtlichen Vorgaben eingehalten werden.

Ob das zutrifft, wird sich zeigen. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) kündigte an, er werde gegen das Gesetz Beschwerde einlegen und auch den Europäischen Gerichtshof zu Hilfe rufen. Baum bewertete das Vorhaben der Großen Koalition als Verstoß gegen das Grundgesetz und die EU-Grundrechtscharta. Diese Einschätzung teilen Oppositionspolitiker sowie Netz- und Bürgerrechtsaktivisten. Die Linksfraktion monierte, dass jede Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen und personenbeziehbaren Daten einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstelle.

Kritiker in der SPD weisen in einem Antrag für den Parteikonvent darauf hin, dass durch die Vorratsdatenspeicherung alle Bürger unter Generalverdacht gestellt werden. Strittig ist indes in der Partei, ob ein Beschluss des Konvents gegen den Gesetzentwurf der Großen Koalition bindend wäre und die Entscheidung eines SPD-Bundesparteitages zugunsten der Datenspeicherung aushebeln könnte. Der Bundesparteitag ist nämlich das oberste Beschlussgremium der Partei. Ein Konvent fasst hingegen laut SPD-Statut nur dann Beschlüsse, »soweit sie nicht einem anderen Organ vorbehalten sind«. Einige Parteilinke und Netzpolitiker in der SPD halten den Parteitagsbeschluss von 2011 jedoch für gegenstandslos. Denn dieser entstand noch vor dem Hintergrund der damals gültigen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die inzwischen durch den Europäischen Gerichtshof aufgehoben wurde.

Ein Votum des Konvents gegen die Vorratsdatenspeicherung wäre vor allem eine heftige Niederlage für Sigmar Gabriel. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Delegierten ihren Parteichef und die Große Koalition in eine Krise stürzen werden. Denn sie wissen, dass keine andere Partei Neuwahlen so sehr fürchten muss wie die im Umfragetief verharrende SPD. Gabriel will die innerparteiliche Debatte möglichst schnell abschließen. Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag über den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung abstimmen.

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