Schichtdienst für die Schnellrichter
Garmisch nähert sich dem G7-Ausnahmezustand
Rund 34 Kilometer vor Garmisch-Partenkirchen stimmt ein Autobahnschild den Autofahrer schon darauf ein, was ihn während des G7-Gipfels Anfang Juni erwarten wird: »Polizeikontrolle. Weiterfahrt nur auf Weisung der Polizei!«, ist da zu lesen. In dem Markt selbst, Schauplatz der Proteste in der ersten Juni-Woche, ist bereits jetzt die Präsenz der Sicherheitsbehörden nicht zu übersehen. Immer wieder fahren Kolonnen mit Polizeifahrzeugen durch die Straßen des 27 000-Einwohner-Ortes.
Im Rathaus hat die Polizei wegen des bevorstehenden G7-Gipfels ein Bürgerbüro eingerichtet, auf dem gleichen Flur wie die »Sterbefälle« und die »Geburten«. Und an diesem verregneten Donnerstagnachmittag haben sich durchaus einige Anwohner eingefunden: Es geht um Auskünfte über Sperrzonen, Demonstrationsrouten und Umleitungen. Denn rund um den Gipfel herrscht Ausnahmezustand hier im Werdenfelser Land. So wird es von Samstag, 6. Juni, bis Montag, 8. Juni, keinen durchgehenden Zugverkehr über Garmisch-Partenkirchen nach Mittenwald und Innsbruck geben, die Bahnstrecke wird wohl ebenso gesperrt werden wie die parallel verlaufende Bundesstraße 2.
Das Rathaus selbst ist übrigens erkennbar ein alter Nazi-Bau von 1935, Garmisch-Partenkirchen war ja ein Jahr später Austragungsort der Olympischen Winterspiele. Aus dieser Zeit stammt auch die Zwangsverheiratung der beiden Gemeinden. Deren Werbegemeinschaft gehören rund 150 Betriebe an und die haben sich in einem Brandbrief an Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer und einige Abgeordnete des Bayerischen Landtages gewandt. Es geht um Geld, denn der G7-Gipfel kostet nicht nur weit mehr als 100 Millionen an Steuergeldern, sondern schmälert auch die Einnahmen der ortsansässigen Geschäfte. Weil in Erwartung des Gipfel-Trubels und aus Angst vor Staus, Gedränge und Warteschlangenbleiben die Kunden wegbleiben. Einzelhändler beklagen bereits jetzt massive Umsatzrückgänge. Ein Phänomen, das auch von anderen Großveranstaltungen bekannt ist. Die Werbegemeinschaft fordert jetzt eine »Umsatzausfall-Entschädigungszusage«.
Im Norden des Marktes liegt die legendäre »Bayernhalle«, um diese Zeit eigentlich fest im Griff der Trachtengruppen. In der »Bayernhalle« hatte einst Franz Josef Strauß seine großen Auftritte, hier wird geschuhplattelt und gefingerhakelt. In der Protestwoche vor dem G7-Gipfel aber sind hier nun die Rechtsanwälte untergebracht, die die G7-Gegner verteidigen wollen. Denn auf der anderen Straßenseite liegt der Abrams-Komplex, ein ehemaliges Lazarett, das von der US-Army als Erholungsheim genutzt wurde.
Hier werden Polizisten und vor allem die Richter zu finden sein, die festgenommene Demonstranten aburteilen sollen. Die Zahl der Richter weist in Richtung einer sehr robuste Auslegung der Demonstrationsfreiheit durch die bayerische Staatsmacht. 110 Richter und 20 Staatsanwälte sollen für Ordnung im Sinne der Sicherheitskräfte sorgen, bis zu fünf Präsenzrichter pro Zwölf-Stunden-Schicht sollen sicherstellen, dass auch bei »krawallbedingten« Festnahmen und Untersuchungshaft-Anordnungen immer genug Personal vor Ort ist.
Auch an »Sammelstellen« für festgenommene Gipfelgegner wurde gedacht, sie gewährleisten nach Einschätzung des Justizministeriums die »planmäßige und beweissichere Bearbeitung einer möglichen größeren Anzahl von Freiheitsentziehungen«, heißt es in einem Papier. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, es sei eine stationäre Sammelstelle in Garmisch für bis zu 200 Personen geplant, außerdem mehrere mobile Sammelstellen. Dabei handelt es sich um Mannschaftsbusse der Polizei. »Die genaue Anzahl steht noch nicht fest«, so der Sprecher.
Für die Verteidiger hatten die Polizei-Planer keinen Platz vorgesehen, sie sollten sich in den örtlichen Schnell-Imbissen oder Cafés mit ihren Laptop-Büros niederlassen. Daraufhin buchte eine örtliche Kanzlei die »Bayernhalle«. Inzwischen wurde die Organisation von der Rechtsanwaltskammer und der Initiative Bayerischer Strafverteidiger übernommen, an die 50 Juristen sollen den Rechtsschutz der Demonstranten garantieren.
Und neben den Richtern und Verteidigern ist auch noch eine weiter Berufsgruppe in Stellung gegangen. Polizeiseelsorger aus ganz Deutschland sollen sich während des G7-Gipfels um das Seelenheil der mehr als 20 000 eingesetzten Polizisten kümmern. Rund 30 Geistliche sollen deutlich sichtbar sein und sich »auch immer wieder zu den Beamten in die Absperrketten stellen«, so Oberkirchenrat Detlev Bierbaum laut einem Pressebericht.
Derweil machen rund um das Gipfel-Schloss Elmau seltsame Gerüchte die Runde. So soll der Fahrweg von Klais hinauf zum Tagungsort derart stabil geteert worden sein, dass auch gepanzerte Fahrzeuge ihn benutzen könnten. Als »Unfug« und »totalen Krampf« bewertete ein Polizeisprecher das bizarre Gerücht, dass in den Mittenwalder Kasernen der Gebirgsjäger vorsorglich 200 Särge deponiert wurden. Richtig sei vielmehr, dass die Sicherheitskräfte Großraum-Behälter zum Transport technischen Gerätes angeliefert hätten.
Auch die Vorbereitungen der G7-Gegner und für unterschiedlichste Demonstrationen und Kundgebungen laufen auf Hochtouren. Da ist zunächst das »Bündnis StopG7«, das unter dem Motto »Tragen wir den Protest auf den Gipfel. Auf nach Elmau« zu Aktionen in Garmisch-Partenkirchen und direkt am Tagungsort aufruft. Das Bündnis aus einer Vielzahl linker Gruppierungen (darunter Attac München, Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus, die Linkspartei) will es sich nicht nehmen lassen, in Sichtweite der Regierungschefs und mit den legitimen Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen deren neoliberale, kriegstreibende und unsoziale Politik zu protestieren. Möglich wäre etwa eine Blockade der Zufahrtswege zum Schloss. Offen ist noch die Frage, ob es nach dem Verbot gelingt, juristisch ein Protestcamp zu erstreiten oder eine Alternativfläche zu organisieren. Für die angemeldete Großdemonstration in Garmisch-Partenkirchen am 6. Juni und dem Sternmarsch nach Elmau am 7. Juni kann man wohl mit einer Machtdemonstration der Polizei rechnen.
Auch in München wird es eine Großdemonstration geben. Für den 4. Juni (Fronleichnam, in Bayern ein gesetzlicher Feiertag) ruft ein Bündnis »G7-Demo« zu einer »bunten, vielfältigen und friedlichen Demonstration« auf. Themen dabei sind »TTIP stoppen - Klima retten - Armut bekämpfen«. Getragen wird das Bündnis von Bund Naturschutz, den Grünen, den Naturfreunden Deutschlands, Oxfam und Campact.
Als Träger des »Internationalen Gipfel der Alternativen« (3./4. Juni) wiederum finden sich Organisationen aus den anderen beiden Bündnissen als auch »Brot für die Welt«, »Misereor« oder die »Katholische Arbeitnehmerbewegung«. Auf dem Alternativgipfel geht es in Arbeitskreisen um inhaltliche Alternativen zur Politik der G7, um globale Machtverhältnisse und die Wiederkehr von Kriegen.
Und schließlich wird es auch noch am Mittwoch eine Großkundgebung mit angeblich bis zu 17 000 Teilnehmern geben. Überraschend und bisher kaum in der Öffentlichkeit bekannt will ein Bündnis aus verschiedenen (amerikanischen) Nichtregierungsorganisationen ab 14 Uhr auf dem Münchner Königsplatz anlässlich des G7-Gipfels im Rahmen eines »Bürgerfestes« auf den »Kampf gegen Armut, Hunger und vermeidbare Krankheiten« aufmerksam machen. Veranstalter sind Hilfs-Organisationen wie »World Vision«, »Welthungerhilfe«, »Global Citizen« oder »Save the Children«. Dabei sollen der US-Sänger Usher, aber auch der Schauspieler Jan Josef Liefers mit Band und der Komiker Michael Mittermeier auftreten. Konkrete Forderungen an die G7-Politiker, wie Armut und Hunger zu bekämpfen sind, gibt es nicht, aber der »Eintritt zu der Veranstaltung am Königsplatz ist frei«, so die Veranstalter.
Die Polizei rechnet für München mit insgesamt mehr als 50 000 Teilnehmern. Polizeivizepräsident Robert Kopp stellte sich in die Münchner Tradition des »kräftigen Hinlangens« und kündigte an, »gewaltbereite« Demonstranten bereits am Donnerstag in München »aus dem Verkehr zu ziehen«. Man sei zwar tolerant, aber nicht »deppert«. Alles Maßnahmen, damit sich Bayern »der ganzen Welt als perfekter Gastgeber« präsentieren kann, so jedenfalls der Wille in der bayerischen Staatskanzlei.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.