Lettlands Sieger bleibt zu Hause
Alle vier Bewerber um die lettische Präsidentschaft üben sich in Bescheidenheit
In geheimer Wahl will das lettische Parlament am Mittwoch in Riga für die nächsten vier Jahre einen neuen Präsidenten bestimmen. Nur zwei der Kandidaten in der 100 Abgeordnete umfassenden Saeima haben eine ernsthafte Chance auf einen Sieg mit mindestens 51 Stimmen im ersten Anlauf: Verteidigungsminister Raimonds Vējonis und Europarichter Egils Levits.
Anders als das Nachbarland Litauen ist Lettland eine parlamentarische Republik und überlässt dem Staatsoberhaupt vornehmlich repräsentative Funktionen und sehr wenig reale Macht. Allerdings hat der Präsident den Oberbefehl über die Streitkräfte des Landes und nominiert den Regierungschef. Er verfügt auch über das Recht, die Auflösung des Parlaments zu beantragen - dann muss sofort eine Volksabstimmung darüber erfolgen.
Der amtierende Verteidigungsminister Raimonds Vējonis wurde für die gemeinsame Liste des »Bündnisses der Grünen und Bauern« nominiert. Der knapp 50-jährige diplomierte Biologe wurde zwar im russischen Pskow geboren, übersiedelte aber noch zu Sowjetzeiten nach Lettland und ist für seine prowestlichen Einstellungen bekannt.
Als ebenso prowestlich gilt Egils Levits vom regierenden national orientierten Bündnis »Nationale Allianz«. Der 59-Jährige ist Exil-Lette. Im Jahr 1972 reiste er 17-jährig mit seinen sowjetkritischen Eltern nach Deutschland zu Verwandten aus. Er besuchte das lettische Gymnasium in Münster und studierte in Hamburg Jura und Politikwissenschaften. Derzeit ist er Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und genießt deutliche Unterstützung in lettischen radikalnationalen Kreisen.
Das russlandfreundliche und sozialdemokratisch orientierte Oppositionsbündnis »Harmonie« bildet mit 24 Sitzen die größte Parlamentsfraktion. Es hat den 73-jährigen Abgeordneten Sergejs Dolgolovs nominiert. Der gelernte Chemiker ist der erfahrenste Politiker der »Harmonie« und seine Muttersprache ist Russisch. In der lettischen Presse zum Thema Ukrainekrieg und Rolle Russlands befragt, antwortete er: »Ich weiß nicht, was Russland in der Ukraine tut. Ich weiß es wirklich nicht, weil ich nicht da gewesen bin.« Zu diesem Thema seien schließlich keine objektiven Informationen verfügbar.
Der vierte Kandidat Mārtiņš Bondars ist 43 Jahre alt und von der neuen Gruppierung »Partei der Regionen« nominiert. Sie hat nur acht Parlamentssitze. Bondars ist ein ehemaliger Basketballspieler und Banker, er war auch Leiter der Kanzlei der lettischen Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga.
Außer in Krisensituationen zu agieren, kann der Präsident vor allem die Stimmung im Land beeinflussen. In den heutigen gefährlichen Zeiten müsse ein Präsident »Oberhaupt der Nation« und dürfe kein »Präsident der Mehrheit der Letten« sein, betonte kürzlich Aivars Lembergs, renommierter Bürgermeister der Hafenstadt Ventspils, ein Oligarch mit Einfluss auf die Wahl des Präsidenten. Seiner Meinung nach sollte der neue Präsident auch in der russischen Gesellschaft anerkannt sein. Für ihn würde Verteidigungsminister Raimonds Vejonis in diese Rolle am besten passen.
Der bisherige Präsident Lettlands, Andris Bērziņš, kandidiert nach seiner vierjährigen Amtszeit nicht wieder. Einige loben ihn für seinen ruhigen Charakter und ein pragmatisches Verhalten gegenüber Russland. Andere kritisieren Bērziņš’ mangelnde rhetorische Fähigkeiten und erinnern an seine Karriere in der Kommunistischen Partei zu Sowjetzeiten.
Doch einig sind sich alle über die Bescheidenheit von Andris Bērziņš. Seit Beginn seiner Amtszeit spendet er sein Präsidentengehalt von 2205 Euro für wohltätige Zwecke. Er kann es sich freilich leisten, weil er als Banker schon vor der Präsidentschaft Millionär geworden war. Auch die schicke Residenz des Präsidenten an der Ostseeküste hielt er nicht für notwendig. Lieber lebte er in einer Eigentumswohnung in der Rigaer Altstadt und ging zu Fuß zur Arbeit.
Immerhin darin sind sich auch die vier von Parlamentsparteien nominierten Präsidentenkandidaten einig. Genau wie ihr Vorgänger würden sie auf die Präsidentenresidenz verzichten und zu Hause wohnen.
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