Steinchen statt Pillen
In Mainz können sich Studenten in einer Trainingsapotheke auf ihren Beruf vorbereiten
Mainz. Zum Job eines Apothekers gehört es, sich Krankheiten einbilden zu können. Sind es eher pochende Kopfschmerzen? Ist der Schleim zähflüssig? Nehmen die Patienten noch andere Medikamente? Solche Fragen soll ein Apotheker Kunden stellen, um sich in sie hineinversetzen zu können. Bettina Stollhof hält viel davon, ihre Studenten - angehende Apotheker - lebensnah zu unterrichten. Eines will sie aber klarstellen, während sie eine Spritze für Diabetiker zwischen den Fingern hält: »Sie müssen sich das natürlich nicht selbst injizieren.« Der Gedanke jedoch wäre nicht so abwegig. Der Raum, in dem Stollhof an der Universität Mainz unterrichtet, ist darauf getrimmt, Grenzen zu verwischen - vor allem die Grenze zwischen Theorie und Praxis. Es handelt sich um eine sogenannte Trainingsapotheke. In der Mitte steht ein Tisch mit einem kompletten Kassensystem, in einem Regal an der Wand liegen sorgsam sortiert Arzneischachteln, allerdings ohne Medikamente. »Wir haben kleine Steinchen rein getan, damit sie nicht umfallen, wenn gelüftet wird«, sagt Stollhof.
Mehrere Kleingruppen von bis zu 15 Studenten üben hier ein Semester lang in Rollenspielen, wie es ist, Kunden zu beraten, die ein Problem haben. Sie sind im sechsten Semester, im Normalfall haben sie noch nie in einer Apotheke gearbeitet. »Es ist sinnvoll, es so zu trainieren. Die meisten Studenten gehen nämlich später in eine Apotheke«, sagt Ursula Sellerberg, Sprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Seit 2010 gibt es die Trainingsapotheke. Weit verbreitet sei diese Form des Unterrichts an den Unis noch nicht, sagt Sellerberg.
Auf dem Stundenplan steht heute Diabetes. Student Johannes Katzorke mimt den Apotheker. Er soll seiner Kundin - gespielt von Kommilitonin Christina Obermann - erklären, wie sie mit einem sogenannten Insulin-Pen (Insulin-Stift) umgehen muss. »Es ist ähnlich wie bei einem Füllfederhalter« sagt er. »Das hier lässt sich aber nicht so gut aufschrauben«, bemerkt sie.
Stollhof hat sich für die Gruppe konkrete Beispiele ausgedacht, in denen ein gewisser »Typ-I-Diabetiker Herr Zucker« in der Apotheke eintrudelt. Natürlich gebe es Apotheker, sagt die Lehrbeauftragte, die sich nach vielen Jahren im Job oft darauf beschränkten, recht stumm die gewünschte Medikamentenschachtel über den Tisch zu reichen und das Geld zu kassieren, so Stollhof, die selbst Apothekerin ist. Genau das wolle sie aber bei der Ausbildung verhindern. »Wir wollen, dass die Studenten beraten. Sie sollen fragen, fragen, fragen.« - Für die Studenten, die sich ja für Pharmazie und nicht für Schauspiel eingeschrieben haben, bedeutet die Scharade hin und wieder Überwindung. »Natürlich fühlt es sich im ersten Moment etwas unangenehm an«, sagt Student Johannes Katzorke. »Aber ansonsten ist das Studium ja auch sehr theoretisch. Ich sehe daher die großen Vorteile.« dpa/nd
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