Der steinige Weg zur Internet-Demokratie
Peter Schaars kritisches Buch über die Digitalisierung
»Eigentlich wollte ich ein positives Buch schreiben«, sagte Peter Schaar bei der Vorstellung seines neuen Werks am Mittwoch in Berlin. Die Chancen der Digitalisierung habe er darin betonen wollen, »aber so richtig positiv ist es doch nicht geworden«. Bisherige Bücher des früheren Bundesdatenschutzbeauftragten behandelten hauptsächlich Datenschutzthemen. Nun widmet er sich den »Grundfragen des Umgangs mit Informationstechnik«. Seit rund eineinhalb Jahren ist Schaar nicht mehr im Amt und leitet ehrenamtlich die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID). Chancen des Datenschutzes sieht er inzwischen skeptisch. »Allein mit dem Datenschutzrecht werden wir die Probleme der Digitalisierung nicht lösen«, betonte Schaar.
Große Anbieter von Internet-Diensten, wie Google oder Facebook, hätten es geschafft, ihre Verantwortung auf die Schwächsten abzuwälzen. »Wir müssen sie dazu bringen, für ihre Verantwortung einzustehen«, fordert Schaar in seinem Buch. Er konfrontiere darin »die ökonomisch motivierten Entscheidungsmechanismen mit dem, was man eigentlich als Demokratie bezeichnet und stellt fest, dass zwar die Philosophien dieser Unternehmen Offenheit propagieren, aber nicht demokratisch sind«.
Er habe sein Buch »Das digitale Wir« genannt, weil es um den gesellschaftlichen Gestaltungswillen gehe. Schaar betrachtet es »als Aufruf zur Einmischung«. Die fordert er jedoch nicht von den sogenannten Digital Natives, also der Generation, die mit dem Internet groß geworden ist, sondern von der Generation in den mittleren Jahren. »Die mittlere Generation hat eine Schlüsselrolle, auch wenn sie sich dessen noch nicht bewusst ist.« Diese Menschen hätten nämlich eine Zeit ohne Netz und Smartphone erlebt und könnten kritisch vergleichen.
Dabei dürften Technik-Abstinente nicht ausgeschlossen werden. Das habe es bereits in früheren Umbruchsperioden gegeben, etwa als es hieß, Löhne und Gehälter würden nicht mehr in bar ausgezahlt, sondern nur noch auf Konten. »Entscheidend ist, dass man die verschiedenen Wege offen hält«, so Schaar. Die Gesellschaft darf sich nicht allein an technischen Möglichkeiten orientieren und dabei die über Jahrhunderte entwickelten Werte über Bord werfen. Sonst befürchtet der Datenschützer eine »Form von extrem brutalem Neoliberalismus«, bei der im darwinistischen Sinne nur noch die Stärksten durchkommen. »Die instrumentelle Vernunft muss dort eine Grenze finden, wo sie die Menschenrechte gefährdet.«
In der kommenden europäischen Datenschutzgrundverordnung sieht Schaar keine Lösung. Es fehle eine europäische Öffentlichkeit. Für die meisten Europäer sei Brüssel weit weg und zu abgeschottet. »Der Umschwung wird nur dann kommen, wenn man eine echte Internet-Demokratie etabliert.« Dann käme man nicht mehr an den Interessen der Bürger vorbei.
Auch wenn Schaar der Debatte um die vernetzte Zukunft der Gesellschaft inhaltlich nichts wesentlich Neues hinzufügt, bleibt seine Kritik wichtig, weil sie auch in Kreisen wahrgenommen wird, die sich nicht kritisch mit dem Internet auseinandersetzen.
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