6. Mai 1955: Die BRD in der NATO
Der erste NATO-Generalsekretär von 1952-1956, Lord Ismay, betonte, das Bündnis solle die Russen aus Europa raus-, die USA drin- und die Deutschen unter Kontrolle halten. Unterstellt war, die Sowjetunion wolle bis zum Atlantik vormarschieren. Umgekehrt ging diese vom »imperialistischen Charakter« der US-Politik aus. Der Westen argumentierte mit der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei 1948 und der Berlin-Blockade, der Osten mit den Kriegen in Korea und Indochina. Historisch war es komplizierter: In Frankreich und Italien waren die kommunistischen Parteien Massenparteien, tief in der Geschichte verankert. Sie hatten beträchtlichen Anteil am Widerstandskampf gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg, waren maßgebliche Mitbegründer der neuen Staatlichkeit und stellten Minister in den Nachkriegsregierungen. Am 5. Mai 1947 wurden in Frankreich, auch auf Druck der USA, die kommunistischen Minister aus der Regierung gedrängt, am 31. Mai 1947 in Italien.
Es ging um den Marshallplan, der neben Hilfe für die notleidende Bevölkerung Europas auf Eindämmung der Sowjetunion zielte. Nach außen hin wurde die Marshallplan-Hilfe auch der Sowjetunion und osteuropäischen Ländern angeboten; tatsächlich war klar, diese konnten nicht annehmen, ohne ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Sie lehnten ab. Im Februar 1948 wurden in der Tschechoslowakei die bürgerlichen Minister aus der Regierung gedrängt – oft als Auslöser der NATO-Gründung dargestellt. Tatsächlich hatte beides – die Herausdrängung der kommunistischen Minister in Frankreich und Italien und der bürgerlichen Minister in der Tschechoslowakei – mit dem Marshallplan zu tun: Im Westen sollte Zustimmung gesichert werden, im Osten Ablehnung. Die Mitglieder in den jeweiligen Regierungen, als der anderen Seite zuneigend angesehen, wurden präventiv entfernt – Europa im Zeichen des Kalten Krieges gespalten.
Im Osten waren nach 1945 panslawistische Losungen präsent. Das neu entstehende kommunistische Lager erschien als »slawischer Block«. Hätte es keine DDR gegeben, schrieb der polnische Historiker Jerzy Krasuski (WeltTrends 2/1994), wäre Polen viel stärker auf die Sowjetunion angewiesen gewesen. Stalin hatte sich durch den Streit mit Tito 1948 und die Gründung der DDR jedoch von dem »slawischen Gedanken« entfernt. Gleichwohl hielt die Sowjetunion die »deutsche Frage« in der Schwebe. Mit der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 hatte sich die Moskauer Führung für die Erhaltung der DDR entschieden, setzte aber weiter auf eine gesamtdeutsche Friedenslösung unter der Voraussetzung einer dauerhaften Neutralität Deutschlands, auch bei Aufgabe der DDR.
Die Westmächte dagegen zielten auf eine Wiederbewaffnung der BRD. Die Bundesregierung unter Adenauer sah die Möglichkeit, das Besatzungsstatut loszuwerden. Zunächst sollte eine »Europäische Verteidigungsgemeinschaft« dazu dienen, der Frankreich, Italien, die Beneluxstaaten und die BRD angehören sollten (die späteren Gründungsstaaten der EWG). Nach dem das EVG-Projekt 1954 im französischen Parlament gescheitert war, nahm man Kurs auf den NATO-Beitritt der BRD. Dazu wurden am 23. Oktober 1954 die Pariser Verträge unterzeichnet. Sie traten am 5. Mai 1955 (Beendigung des Besatzungsstatuts) bzw. 6. Mai (NATO-Beitritt) in Kraft.
Die sowjetische Führung sah im NATO-Beitritt der BRD eine wesentliche Verschlechterung der Situation in Europa. So gründeten die Sowjetunion und weitere osteuropäische Staaten unter Einbeziehung der DDR am 14. Mai 1955 die Organisation des Warschauer Vertrages. Deutschland war so nicht der neutrale Puffer zwischen dem »slawischen« und dem NATO-Block, sondern die Konfrontationslinie ging mitten durch Deutschland. NATO und Warschauer Vertrag bildeten bis 1990 die militärisch-politischen Grundstrukturen des Kalten Krieges in Europa. Allerdings, nimmt man es analog zum Schach, spielten die Russen die ganze Zeit mit den schwarzen Figuren und die USA mit den weißen.
Der Zwischenruf erschien in WeltTrends Nr. 103 »Athen auf neuen Kurs« (Mai 2015).
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