Schäuble ganz unschuldig: Athen spielt »blame game«

Faymann schlägt Fünf-Jahr-Plan für Griechenland vor / Sieben Seiten: Athen legt erneut Vorschläge vor / Varoufakis: »Bitte erlaubt uns Reformen«: Griechenlands Finanzminister wirbt in Berlin für Plan der SYRIZA-Regierung

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 15.45 Uhr: Auf dem so genannten Wirtschaftsflügel der Union im Bundestag, dem 188 von 311 Abgeordneten von CDU und CSU zuzurechnen sind, wird der Ruf nach einem Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone lauter. Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, der Abgeordnete Christian von Stetten, hat laut Spiegel online gefordert, »die europäischen Regierungen müssen sich ehrlich machen: Das Experiment mit den reformunwilligen Griechen im Euroraum ist gescheitert und muss beendet werden«. Von Stetten wolle zwar »die Bevölkerung nicht im Stich lassen. Wir werden über Jahre hinweg mit europäischen Förderprogrammen viele Milliarden zur Existenzsicherung nach Griechenland überweisen müssen und dazu sind wir auch bereit«, zitiert das Portal den Politiker. Allerdings fordert von Stetten »ein Ausscheiden Griechenlands oder die Einführung einer Zweitwährung«.

Update 15.25 Uhr: Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann hat sich für einen Fünfjahresplan für Griechenland ausgesprochen - damit sich das Land nicht weiter »von Konkursgefahr zu Konkursgefahr, von Grexit-Diskussion zu Grexit-Diskussion« zittern müsse. Der SPÖ-Politiker sagte laut Medienberichten, auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die griechische Regierung seien für einen solchen Plan. Mit der Forderung nach mehr Stabilität für Athen könnte eine neue Etappe in dem Streit um die Krisenpolitik eingeläutet werden. Bisher drehte sich alles fast ausschließlich um das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm für Griechenland, aus dem noch rund 7,2 Milliarden Euro an Athen gehen könnten - die aber allenfalls einen Tropen auf den heißen Stein sind. Die Gläubiger verlangen zudem harte Maßnahmen als Bedingung. Die SYRIZA-geführte Regierung will aber nicht alles akzeptieren - und hat selbst stets darauf gepocht, dass es eine längerfristige Übereinkunft gibt. In Athen strebt man unter anderem eine Umstrukturierung der Schulden an. Auch innerhalb des Internationalen Währungsfonds IWF gibt es laut einem Bericht des »Telegraph« erhebliche Zweifel am bisherigen Kurs gegenüber Athen. »Die gesamte Strategie der Gläubiger ist falsch und je länger das so weitergeht, desto mehr wird das kosten«, wird da der frühere Chef des Rettungsprogramms für Irland, Ashoka Mody, zitiert.

Update 15 Uhr: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat der griechischen Regierung abermals vorgeworfen, sie würde es sein, die im Streit um die Krisenpolitik mit Schuldzuweisungen operiere. Die Linkspartei SYRIZA von Premier Alexis Tsipras habe schon im griechischen Wahlkampf versucht, ein »blame game« (Schuldzuweisungs-Spiel) mit Deutschland zu spielen. »Wir wären schön blöd, wenn wir uns darauf einlassen würden«, sagte Schäuble am Dienstag in Berlin auf einer Konferenz des Wirtschaftsrates der CDU. Griechenland habe es in der Hand, ob es die schweren Anpassungslasten tragen wolle oder nicht. Schäuble wies zudem Spekulationen über ein Zerwürfnis mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Griechenland-Frage zurück. »Wir haben eine klare gemeinsame Haltung.«

Update 14.55 Uhr: Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat erneut eindringlich vor einem Scheitern der Verhandlungen über das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm gewarnt. Dies »wäre der Anfang vom Ende der Eurozone«, sagte Tsipras der italienischen Tageszeitung »Corriere della Sera« vom Dienstag. Wenn Griechenland pleite gehe, würden sich »die Märkte sofort ein neues Opfer suchen«, sagte er mit Blick auf andere kriselnde Eurostaaten. Wenn Europa nicht in der Lage sei, die Probleme Griechenlands zu lösen, das nur einen Anteil von zwei Prozent an der Wirtschaftsleistung der EU habe, »wie würden die Märkte dann auf andere Länder reagieren, die mit viel größeren Problemen zu kämpfen haben, wie Spanien oder Italien«, fragte Tsipras in dem Interview. Der griechische Ministerpräsident zeigte sich aber zuversichtlich, doch noch zu einer Vereinbarung mit den Geldgebern zu kommen. »Ich glaube, wir sind sehr nah an einer Einigung«, sagte Tsipras. Die Gläubiger müssten nur noch einigen »Alternativvorschlägen« Griechenland etwa zu Rentenkürzungen zustimmen.

Update 14.10 Uhr: Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer hält unter Umständen eine Abstimmung des Bundestags über die weitere Auszahlung aus dem seit Monaten blockierten Kreditprogramm für Griechenland für geboten. »Wir müssen im Bundestag abstimmen, wenn es eine wesentliche Änderung des Programmes gibt«, sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Berlin. Dann reiche die Beteiligung des Haushaltsausschusses nicht aus. Im Zweifel werde man eher im Plenum entscheiden, meinte Grosse-Brömer. Dafür sei aber zunächst eine klare Entscheidungsgrundlage notwendig. »Der Ball liegt im Spielfeld von Griechenland.« CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt betonte: »Die Zeit läuft davon.« Am Wochenende hatten sich der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer (CSU), und der haushaltspolitische Fraktionssprecher Eckhard Rehberg (CDU) für eine Abstimmung im Plenum ausgesprochen.

Update 12.25 Uhr: Die SYRIZA-geführte Regierung hat den Gläubigern erneut Vorschläge übermittelt, um den Prozess einer Einigung über das blockierte Kreditprogramm voranzutreiben. Dies wurde in Athen bestätigt. Wie am Dienstag die Nachrichtenagentur dpa aus EU-Kreisen verlautete, werden sie derzeit von den internationalen Kreditgebern geprüft. Nach griechischen Medieninformationen wurde ein Papier von sieben Seiten mit Reformvorschlägen in der Nacht zum Dienstag der EU übermittelt. Der Athener Nachrichten-Radiosender Skai berichtete, drei Seiten beträfen die von den Gläubigern geforderten Bedingungen, die anderen vier Seiten, wie Griechenland in den kommenden Jahren finanziert werden solle.

Varoufakis: »Bitte erlaubt uns Reformen«

Berlin. Dass der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis am Montagabend nach politischen Gesprächen in Berlin auch noch einen Vortrag vor der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hielt, das konnte man im Deutschlandfunk am Morgen danach nicht verstehen: Es stoße auf Unverständnis, hießt es dort ohne jedes Verständnis, dass Varoufakis auch noch Vorträge halte, obwohl doch die Zeit im Ringen um das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm ablaufe.

Varoufakis musste bei seiner Rede in Berlin am Abend geradezu darum betteln, dass die SYRIZA-geführte Regierung endlich ihren Weg gehen könne. »Bitte erlaubt uns Reformen«, warb der Finanzminister für den Plan seiner Regierung zur Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Krise in Griechenland. Das 47-seitige Papier war vor rund einer Woche vorgelegt worden, es unterscheidet sich in wichtigen Punkten von einem Vorschlag der Gläubiger, der ebenfalls vor einer Woche vorgelegt worden war.

»Diese griechische Regierung ist in der Lage, die Bevölkerung zu überzeugen«, sagte Varoufakis - und verwies auf die Flexibilität in Athen. Man habe bereits Zugeständnisse gemacht und sich bewegt. Es gebe aber Punkte, die die SYRIZA-Regierung nicht mitgehen könne und wolle. Änderungen am Renten- und Steuersystems sowie auf dem Arbeitsmarkt könnten nicht gelingen, wenn eine Bevölkerung weiter ausgepresst werde, sagte der Ökonom.

Aus der Sicht von Varoufakis müssten mehr Steuern eingezogen, aber die Raten gesenkt werden. Das Rentensystem müsse reformiert werden, aber nicht durch Kürzungen. Die Arbeitsbedingungen erinnerten teils an Sklaverei, sagte Varoufakis. Etwa 500.000 Menschen seien seit einem halben Jahr nicht mehr bezahlt worden. Varoufakis nannte es einen Fehler zu sagen, Deutschland habe nicht genug an Griechenland gezahlt. »Deutschland hat mehr als genug gezahlt - aber aus falschen Gründen.« Mit dem Geld sei nicht geholfen worden.

Varoufakis hatte zuvor den Gläubigern in einem Zeitungsinterview vorgeworfen, im Streit um das blockierte Kreditprogramm eine Einigung mit Griechenland zu torpedieren. Zu den beiden vergangene Woche vorgelegten Papieren von EU-Kommission, EZB und IWF sagte er dem »Tagesspiegel«, einen »solchen Vorschlag macht man nur, wenn man eigentlich gar keine Vereinbarung will«. Alle »über Monate ausgehandelten Annäherungen« hätten die Gläubiger mit Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vergangene Woche »zurückgenommen« und nun würden sie das Gleiche fordern wie zu Beginn der Verhandlungen.

Varoufakis kritisierte zudem, dass die Gläubiger bisher keinen Vorschlag zur langfristigen Lösung der Krise akzeptiert oder vorgelegt hätten: »Wir wollen nicht einen zusätzlichen Euro für den griechischen Staat. Aber wir schlagen vor, dass die Schulden innerhalb der drei Troika-Institutionen umgeschichtet werden«, so der griechische Minister. Er erneuerte die Forderung, die in den kommenden Jahren fällig werdenden Anleihen Griechenlands bei der EZB auf den Rettungsfonds ESM umzulegen und die dort ab 2021 fälligen Zins- und Tilgungszahlungen ans Wachstum zu koppeln. Ohne Lösung dieser Fragen werde keine Vereinbarung unterschrieben, so Varoufakis.

Varoufakis erinnerte in seinem Berliner Vortrag auch an die »Hoffnungsrede für Deutschland« des amerikanischen Außenministers James Byrnes im Jahr 1946 nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine solche »Rede der Hoffnung« sollte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) halten.

Varoufakis kritisiert Presse: »Das war ein Rufmordversuch«
Griechischer Finanzminister trifft Schäuble und Gysi / Kipping: SYRIZA hat Rückendeckdeckung der Linkspartei / Ringen um Kreditprogramm geht weiter / Bericht: Athen überarbeitet 47-Seiten-Plan / Erneutes Treffen Tsipras, Merkel und Hollande am Mittwoch - der Newsblog vom Montag zum Nachlesen

Derweil dringt Frankreich auf eine rasche Lösung. Es drohten sonst Risiken für die Eurozone, sagte der französische Staatspräsident François Hollande am Montag in Elmau nach Abschluss des G7-Gipfels. Zwischen den Gläubigern und Griechenland, die jeweils eigene Vorschläge machten, müsse es eine Annäherung geben. Am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels am Mittwoch in Brüssel werde es Gespräche über Griechenland geben. Am 30. Juni ende eine »Maximalfrist«. Hollande drängte auf Tempo, da in Mitgliedstaaten für eine Abmachung noch parlamentarische Hürden zu nehmen seien. Das gilt auch für die Bundesrepublik.

Unterdessen ist Griechenland von einem Erdbeben der Stärke 5,2 erschüttert worden, das deutlich in der Hauptstadt Athen spürbar war. Das Beben habe sich am frühen Dienstagmorgen in der Nähe der Stadt Malesina nördlich von Athen in 83 Kilometern Tiefe ereignet, teilte die US-Erdbebenwarte USGS mit. Es habe mehrere Sekunden gedauert und die Bewohner der Gegend aus dem Schlaf gerissen. Die griechischen Behörden gaben die Stärke des Bebens mit 5,3 an. Es habe sich unter dem Meeresboden ereignet. Schäden oder Opfer wurden nicht gemeldet. Griechenland gehört zu den am schwersten von Erdbeben betroffenen Ländern in Europa. Im Januar 2014 waren durch ein Erdbeben der Stärke 5,8 auf der Ferieninsel Cephalonia tausende Menschen obdachlos geworden. Agenturen/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -