Aufstocken als Weg in die Schuldenfalle

Aktionswoche betont Zusammenhang von prekären Jobs und Schulden / Beratungsangebote mit großen Lücken

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Prekäre Jobs sind ein Hauptgrund für Überschuldung. Darauf weisen Sozialverbände in einer bevorstehenden Aktionswoche hin. Die Beratungsangebote reichen nicht.

Die Zahlen gehen nicht zurück: Rund jeder elfte Haushalt in Sachsen wird von Schulden gedrückt, weil der laufende Lebensunterhalt nicht aus dem Einkommen bestritten werden kann. Für 2014 lag die Quote bei 9,31 Prozent; seit 2006 habe sie sich »nur in den Nachkommastellen« verändert, sagt Christian Schönfeld, Vizevorsitzender der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen, vor einer bundesweiten Aktionswoche. Diese wird von 15. bis 19. Juni von der »Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände« ausgerichtet. In diesem Jahr steht der Zusammenhang von Überschuldung und prekärer Beschäftigung im Mittelpunkt.

Mini- und Teilzeitjobs, Werkverträge und Leiharbeit sind mit dafür verantwortlich, dass die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik stark gesunken ist. Sie tragen aber auch maßgeblich dazu bei, dass die Zahl der überschuldeten Haushalte nicht zurückgehen will, die allein in Sachsen bei 200 000 liegt. Angaben des Statistischen Bundesamtes belegen den Zusammenhang. Aufstocker, also Menschen, die geringe Einkommen durch Arbeitslosengeld II aufbessern müssen, geraten demnach »überproportional häufig« in die Schuldenfalle. In Beratungsstellen machen sie knapp sieben Prozent der Besucher aus; ihr Anteil an den Erwerbstätigen beträgt aber nur drei Prozent. Zudem sind ihre Schulden mit durchschnittlich fast 38 000 Euro überproportional hoch. Präzisere Zahlen auch für einzelne Regionen werden erst im Juli bekannt. Das Bundesamt legt dann erstmals einen Bericht aufgrund des neuen »Überschuldungsstatistikgesetzes« vor.

In den Beratungsstellen plagt man sich freilich schon jetzt mit den beschämenden Folgen der angeblich so schönen neuen Arbeitswelt. Leiharbeiter, klagt die Bundesarbeitsgemeinschaft, erhielten oft »besonders niedrige« Löhne; zudem seien viele Jobs nach weniger als drei Monaten beendet. Befristete Jobs würden oft für so kurze Zeiträume vergeben, dass trotz geleisteter Sozialbeiträge kein Anspruch auf Arbeitslosengeld entsteht. Viele Beschäftigte, sagt Schönfeld, »pendeln deshalb zwischen prekärem Job und Hartz IV«.

Die Schuldnerberater drängen auf grundlegende Korrekturen wie die Anhebung des Regelsatzes, die Wiedereinführung der Einmalzahlungen für Anschaffungen wie Kühlschrank oder Waschmaschine und einen höheren Mindestlohn. Sie fordern aber auch, die Beratungsangebote in der Bundesrepublik zu verbessern. So sei seit einem Urteil des Bundessozialgerichtes die Beratung Erwerbstätiger gefährdet. Sie obliege nun dem Ermessen einzelner Kommunen, sagt Rotraud Kießling, Referentin bei der Diakonie Sachsen. Manche drückten in dieser »Grauzone« ein Auge zu, andere verwehrten die Beratung.

Oft scheitert diese aber auch aus anderen Gründen, nämlich einer zu großen Entfernung zur nächsten Beratungsstelle. In Sachsen betreiben die in der Liga zusammengeschlossenen Verbände 50 solcher Einrichtungen; doppelt so viele müssten es eigentlich sein, sagt Rotraud Kießling. So können Betroffene im Landkreis Sächsische Schweiz / Osterz-gebirge nur an zwei Orten Hilfe finden; im flächenmäßig ausgedehnten Kreis Görlitz sind es ganze vier. Das lückenhafte Netz wird neben der Scham vieler Betroffener dafür verantwortlich gemacht, dass nur 10 bis 15 Prozent der Schuldner eine Beratungsstelle aufsuchen.

Um das Angebot zu verbessern, müssten vor allem die Kommunen mehr Geld bereitstellen. Sie sind im Kern für die soziale Schuldnerberatung verantwortlich. Allerdings seien die Zuständigkeiten insgesamt zersplittert, kritisiert Kießling. So obliegt die Insolvenzberatung den Ländern. Sachsen stellt zwar Geld bereit - derzeit nach Angaben der Liga 2,2 Millionen Euro im Jahr. Eine gesetzliche Grundlage dafür sei aber abgeschafft worden; es werde nur nach Haushaltslage gezahlt, heißt es. Die Verbände fordern deshalb eine Bündelung sowohl der Zuständigkeit wie auch der Finanzierung.

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