Eine Frage des Gewissens
Sollten Touristen in politisch umstrittene Länder reisen?
Die Welt ist schon längst nicht mehr heil, war sie eigentlich noch nie. Aber in den letzten Jahren häufen sich die Krisen. Diktaturen werden gestürzt, Staaten versinken im Chaos. Der Feldzug des IS gegen Andersgläubige und die westliche Zivilisation im Allgemeinen macht die Lage im Nahen Osten noch schwieriger. Ganz abgesehen von den Terrorübergriffen von Boko Haram, Al Shabaab und ähnlichen Gruppierungen. Von all den Veränderungen sind auch die Touristen betroffen.
Sind Reisen in Diktaturen mit gutem Gewissen machbar? Auch wenn man weiß, dass der Großteil der Gelder dazu dient, die Diktatur aufrecht zu erhalten. Die charismatische Oppositionspolitikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat jahrelang davor gewarnt, durch Reisen nach Myanmar dessen Militärdiktatur zu unterstützen. Inzwischen ist das Land auf dem Weg zu einer Demokratie, und Aung San Suu Kyi ist selbst Abgeordnete.
Studiosus: www.studiosus.com
Runder Tisch »Menschenrechte im Tourismus«: http://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/aussenpolitik/ aussenwirtschaftspolitik/tnc/ menschenrechte-tourismus-selbstregulierung-branche-lanciert
Studienkreis für Tourismus: www.studienkreis.org;
www.to-do-contest.org
Womöglich haben auch die Touristen dazu beigetragen, in Myanmar die Saat der Freiheit zu säen. Das jedenfalls meinen die Befürworter von Reisen in Diktaturen. Sie argumentieren, dass das Volk zwar nicht direkt vom Tourismus profitiert wohl aber von den Möglichkeiten der Kommunikation und indirekt auch in Berufen, die mit dem Tourismus zusammenhängen. Man kann die Dinge also so oder so sehen.
»Ein klares Jein«, meint Dr. Klaus Dietsch, Vorstandsmitglied des Vereinigung Deutscher Reisejournalisten kürzlich bei einer Diskussion unter Touristikern in München zum Thema »Reisen in Diktaturen und Krisenländer«. »Eigentlich dürften wir gar nicht mehr reisen, wenn man tatsächlich alle Menschenrechtsverletzungen in den Reiseländern berücksichtigen wollte«, stellte er zu Anfang der Diskussion klar. Auch in den USA gäbe es schließlich Guantanamo, in vielen Reiseländern wisse man um Kinderprostitution und Korruption. Und fest stehe, dass Urlaub in autoritär geführte Staaten das System finanziere, weil die Autokraten »oft tief in den Tourismus verstrickt« seien. Auf der anderen Seite verhelfe der Tourismus auch zu Begegnungen mit den Menschen, ermögliche ihnen so den Zugang zu Informationen und könne damit zu einer Aufweichung des Regimes beitragen. Da gelte es das Für und Wider abzuwägen.
Für Frano Ilic vom Münchener Studienreiseveranstalter Studiosus gibt es »kein richtig oder falsch«. Auch autoritäre Länder wie China und Iran sind im Studiosus-Programm, denn man wolle als Wirtschaftsunternehmen Brücken schlagen und Austausch fördern. Reisen könnte viel zum Kennenlernen anderer Kulturen beitragen. Überschätzen dürfe man den Einfluss des Tourismus in Zeiten von Social Media trotzdem nicht, auch wenn seit 2011 durch den UN-Sonderbeauftragten John Ruggie die Menschenrechte als wichtiger Aspekt hinzugekommen sind. In diesem Sinn nehme man Einfluss auf die Auswahl der Leistungspartner, auf die Ausbildung der Reiseleiter und auf die Arbeitsbedingungen in den Hotels vor Ort. »Da sind wir dran, wenn auch noch am Anfang des Prozesses.«
Auch Klaus Betz vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung will Reisen in Krisenländer differenziert sehen. Er erinnert an frühere europäische Diktaturen wie Spanien und Portugal, auch Griechenland, »wo wir alle munter Urlaub gemacht haben« und meint, dass der Tourismus im Spanien Francos zu einer Öffnung beigetragen haben könnte. In Südafrika dagegen habe der Tourismus über Jahrzehnte versagt und das Apartheitsregime auch noch gestützt.
Es komme immer darauf an, »wie eine Reise gestrickt ist«. Ein gutes Beispiel sei die Boomkolbeh-Turkmen Ecolodge am Rand des Golestan Nationalparks im Iran, die unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung die regionalen Traditionen stärke. Für Betz ist die Teilhabe der Bevölkerung am Profit durch den Tourismus ein wichtiges Argument. Und da sieht er nicht nur die Touristen selbst, sondern auch die Veranstalter und auch die Medien in der Pflicht.
»Der Kunde fragt nicht nach«, hat Peter Hinze erfahren, der vor eineinhalb Jahren einen Myanmar-Veranstalter gegründet hat. »100 Prozent privat und ohne Einfluss des Militärs«, so die Idee. Doch das ließ sich nicht realisieren, hat der Jungunternehmer schnell erfahren. »Will man ausschließen, dass Geld an die Militärs geht, muss man’s lassen.« Trotzdem will Hinze mit seinem Veranstalter im Herbst durchstarten. Myanmar sei so etwas wie ein Modethema. Und das Land sei ja auch großartig, leide aber vielerorts unter den viel zu hohen Erwartungen, und die Reisenden bräuchten eine gehörige Portion Abenteuerlust.
Dass die Reisenden oft wenig interessiert an den Lebensumständen in ihrem Urlaubsland sind, kann Dr. Jürgen Kagelmann, seit vielen Jahren Dozent für Tourismuswissenschaft im In- und Ausland, bestätigen. Selbst seine Tourismusstudenten würden wenig Lust zeigen, sich gründlich zu informieren. Den meisten reiche ein Blick auf die Website des Auswärtigen Amtes. Das Bologna-Studium, klagt Kagelmann, habe das Interesse verengt. Dabei verkümmere die grundsätzliche Reflexion darüber, was man mit seinem Verhalten als Tourist bewirke.
Die jungen Reisenden, meint Klaus Betz, wollten ihre eigenen Erfahrungen machen, »auch wenn die Art und Weise bei uns manchmal Kopfschütteln hervorruft«. Kritisch sieht er die »Selfie-Kultur« beim Reisen, wenn das eigene Bild vor Ort wichtiger werde als der Ort selbst. Auch die Freiwilligenarbeit im Urlaub (Volunteering) sieht er eher skeptisch - als Bestreben, sich ein soziales Image zu verschaffen. »Die Reisebranche«, gibt der langjährige Reisejournalist zu bedenken, »war immer apolitisch«. Erst seit 9/11 sei sie dazu gezwungen, politisch zu denken.
»Natürlich geht es für die Veranstalter nicht darum große Politik zu machen«, stellt Frano Ilic klar. Studiosus müsse auch seine Verantwortung als Wirtschaftsunternehmen wahrnehmen. Man könne aber trotzdem versuchen den Profit der Diktaturen zu minimieren und Kontakt zu den Menschen im Reiseland herzustellen. Darüber werde auch beim Runden Tisch »Menschenrechte im Tourismus« diskutiert.
In dem Zusammenhang wundert sich Peter Hinze darüber, dass die Malediven 2016 ITB-Partnerland werden konnten. »Wo ist denn da die Verantwortung? Das ist ein klar diktatorischer Staat mit umstrittenen Verbindungen zum IS sowie einer hohen Zahl an maledivischen IS-Unterstützern. Und Ex-Präsident Nasheed, vor wenigen Jahren wegen seiner Öko-Engagment noch ein Star auf der ITB, sitze unter dramatischen und lebensbedrohlichen Bedingungen auf einer einsamen Insel für 13 Jahre im Gefängnis.
Am Ende, fasst Klaus Dietsch die Diskussion zusammen, sei das Ganze eine «moralische Frage, die jeder für sich selbst entscheiden muss».
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