Das magische Viereck
Roland Bunzenthal über eine mögliche Lösung im anhaltenden Streit zwischen Athen und den Geberländern
Der Kern des Problems zwischen Griechenland und seinen Gläubigern sind die unterschiedlichen Prioritäten beider Seiten. Beide Anspruchsskalen sind nur wenig miteinander kompatibel. Um in dieser Situation einen Konsens zu finden, erfordert es ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen sowie die Überzeugung, dass der gefundene Kompromiss in der Praxis umsetzbar ist.
Die griechischen Ziele bilden ein magisches Viereck; das heißt, sie schließen sich zum Teil gegenseitig aus. Priorität hat für Athen die Loyalität der Wähler angesichts eines hochsensiblen Themas. Dabei streben die beiden Koalitionspartner SYRIZA und ANEL an, ihre jeweilige Klientel zu schonen und zugleich das Gerechtigkeitsgefühl der breiten Mehrheit nicht zu verletzen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn eine Belastung zu einseitig und zu weitgehend empfunden wird. Einer der Tricks dabei ist es, die Belastung möglichst weit in die Zukunft zu verschieben - eine Erhöhung der Altersgrenze und damit eine stärkere Belastung künftiger Rentner ist eben leichter durchzusetzen als Einschnitte bei den aktuell gezahlten Renten.
Sparreformen müssen auch kurzfristig technisch machbar sein. So kommt der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis nur schwer an das Vermögen der Superreichen heran; es liegt größtenteils im Ausland und kann nur durch internationales Vorgehen angekratzt werden.
Der dritte Faktor ist die Ergiebigkeit der jeweiligen Maßnahme. Um die entscheidende Größe eines für den Schuldendienst ausreichenden Haushaltsüberschusses zu erreichen, müssen entweder viele Bürger ein wenig oder wenige erheblich belastet werden. Letzteres betrifft zum Beispiel die Angestellten im Staatsdienst, die durch Einsparungen ihren Job und damit ihre Existenzgrundlage verlieren. Ersteres wäre beispielsweise durch eine erhöhte Mehrwertsteuer möglich.
Der vierte Faktor sind die Auswirkungen auf Investitionen und Konjunktur. Hier stehen sich zwei Theorien gegenüber: Ist es besser, den Konsum und damit die Binnennachfrage zu stärken? Oder lieber die Gewinne und damit das investierfähige Kapital?
Bei den Gläubigern reicht das Verständnis für sozial ausgewogene Reformen nur so weit, wie das politische System instabil zu werden droht. Dies hätte wiederum Auswirkungen auf die Stabilität der gemeinsamen Währung: Für die Gläubiger steht die politische Stabilität neben der Rivalität der Geberländer. Die unterschiedliche Rangfolge der einzelnen Geldforderungen bildet den Rahmen, die möglichst ausgewogene Verteilung der Lasten ist das Ziel.
An erster Stelle der Forderungen stehen die des Internationalen Währungsfonds. Sie sind gewissermaßen sakrosankt und können theoretisch nicht abgeschrieben werden. Bei Notlagen behilft man sich damit, die fälligen Forderungen des Fonds entweder durch ihn selbst oder durch potente Mitgliedsstaaten zu refinanzieren und damit das Problem auf der Zeitachse nach hinten zu verschieben - wohl wissend, dass der Schuldenberg so weiter wächst. An zweiter Stelle der Forderungsskala stehen die privaten Anleihen. Da ihr Ausfall erhebliche Konsequenzen hätte - den Verlust jeglichen Standings am Kapitalmarkt und die direkte Zugriffsmöglichkeit der privaten Gläubiger auf Auslandsvermögen des Landes -, ist man stets bemüht, sie zu schonen.
An dritter Stelle kommen die öffentlichen Forderungen, überwiegend aus Exportkrediten und -bürgschaften. So verfügt zum Beispiel die KfW als zuständige Staatsbank allein über Außenstände in Höhe von 15 Milliarden Euro. Der Steuerzahler sitzt bei der Wertberichtigung der Bankkredite ohnehin mit im Boot, von daher erklärt sich die Strategie, »systemrelevante« Institute mit Steuergeldern zu retten. Dieses vage Kriterium soll künftig nicht mehr dazu dienen, private Risiken zu sozialisieren. Zwischen den Geberländern wird derzeit diskutiert, dass die Staaten am meisten zu einem Konsens beitragen sollen, die zuvor am meisten von der Kreditvergabe profitiert haben. Das zielt vor allem auf Deutschland.
Ein solcher Konsens kann zunächst nur durch die Verschiebung der Fälligkeiten in die Zukunft erreicht werden. Langfristig ist das aber keine Lösung. Diese kann nur erreicht werden, wenn die Gläubiger dem Schuldner genügend Luft lassen, um die nötigen Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften, damit ein akzeptables Verhältnis zwischen Schuldendienst und Wirtschaftsleistung erreicht wird. Für die Gläubiger bedeutet das, auf einen signifikanten Teil ihrer Forderungen verzichten zu müssen.
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