Der Kapitalismus ist in diese Show vernarrt

Der Sportphilosoph Fabien Ollier will verhindern, dass 2024 in Paris Olympische Spiele ausgetragen werden

  • Lesedauer: 4 Min.

nd: In ihrer Zeitschrift »Quel Sport« haben Sie in der letzten Ausgabe die Oppositionsbewegung gegen die Pariser Olympiabewerbung 2024 in Stellung gebracht. Warum appellieren Sie an die Pariser, sich gegen die Spiele zu stellen?
Ollier:
Unsere Bewegung führt zwei Hauptargumente auf: das Finanzielle und das Ideologische. Alle Städte und Länder, die je mit Olympia konfrontiert waren, haben eine schlimme Verschuldung nach den Spielen konstatieren müssen. Wer die Städte analysiert, stellt fest, dass die Rückzahlung der Schulden stets von den Steuerzahlern übernommen wird - über Jahre oder sogar Jahrzehnte, wobei die olympischen Bauten nie dem Bedarf der Bevölkerung entsprachen.

Und der ideologische Aspekt?
Es entwickelt sich mit Olympia eine Ideologie des Spektakels, der Show, in die der Kapitalismus vernarrt ist. Sie fordert eine rücksichtslose Entwicklung aller Waren die einen Bezug zu Körper-, Sport- und Essgewohnheiten haben, ein ultra-liberales Modell, das der Bevölkerung ohne demokratische Abstimmung auferlegt wird. Wir haben den Willen, gegen ein politisches und wirtschaftliches Modell zu protestieren, das sich unter dem Vorwand der sportlichen Leistungen unter dem Deckmantel einer völlig fehlgeleiteten und von den Machenschaften verschluckten olympischen Ideologie entwickelt. Nein zu den Spielen der Korruption, nein zu den Spielen der Völkerverschuldung!

Zur Person

Fabien Ollier ist Sportlehrer und Philosoph. Er hat sich in mehreren Büchern kritisch mit Sport befasst. Seit 20 Jahren führt er Oppositionsbewegungen gegen internationale Sportveranstaltungen in Frankreich an – gegen Olympische Spiele oder Fußball-WM. Er ist Direktor der Monatszeitschrift »Quel Sport«. Warum die Pariser Bewerbung für Olympia 2024 dringend eine Gegenbewegung braucht, erklärte er Antoine Maignan.

Was antworten Sie auf das Pro-Olympia-Argument, dass die Spiele wichtigen städtischen Großprojekten einen Turbo verpassen könnten, wie zum Beispiel die Lage bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, die in Paris momentan sehr problematisch ist?
Wegen Ausfällen und Verzögerungen ist das Verkehrsnetz ein großes Problem für die Pariser. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass die Umsetzung einer neuen U-Bahn-Linie unterm Dach des olympischen Projekts die Alltagssorgen der Bevölkerung erfüllen könnte. Diese Großprojekte sollen touristische Anliegen erfüllen. Sie beschleunigen nur eine Art, das Siedlungswesen und die Architektur zu betrachten, und diese Art geht in die Richtung des »big business«.

Sie sagen, dass Olympia der Bevölkerung ohne demokratische Abstimmung auferlegt wird. Jedoch wurde eine große Volksbefragung für 2016 versprochen.
Wer von den Bürgern kennt die Details der Bewerbung? Niemand. Bevor man die Bürger um Entscheidung bittet, muss man zumindest ein politisches Programm präsentieren und den Leuten Zeit geben, es zu analysieren. Hier haben die Bürger keine Grundlage, um darüber nachzudenken: Die Bewerbungsunterlagen sind nicht einsehbar. So wird Demokratie irregeführt.

In Ihrem Appell gegen Olympia sagen Sie, dass sich eine bürgerliche Opposition organisiere. Es gibt jedoch noch nichts Konkretes im Moment. Welche Form sollte dieser Widerstand annehmen?
Heute ist es bei jeder Bewegung gegen Olympia wie bei David gegen Goliath. Es gibt erhebliche wirtschaftliche, ideologische und geopolitische Herausforderungen, die die politischen Kräfte dazu bringen, Widerstand zu ersticken. Parteien und Gewerkschaften schweigen dazu. Die Schwierigkeit für uns ist, unsere Stimme für alle hörbar zu machen, obwohl wir doch in der Minderheit sind. Das IOC indes soll wissen: Wenn es Paris erwählt, wird Olympia nicht ohne Proteste und Demonstrationen ablaufen.

Was bedeutet das konkret?
Nun, die Kandidatur wird bis 15. September angemeldet werden, zu dieser Zeit werden wir Pressekonferenzen gegen die Bewerbung durchführen sowie Demonstrationen mit Unterstützung von politischen Akteuren der Oppositionsbewegung organisieren, einschließlich Danielle Simonnet und Eric Coquerel, Nationalsekretäre der linken Partei (Parti de Gauche), die explizit dazu aufgerufen haben, sich dem Projekt zu widersetzen. Die Schwierigkeit ist, Bürger zu finden, die bereit sind, mit diesem sehr langfristigen Ansatz zu kämpfen: Zwischen der Anmeldung der Bewerbung und dem Zeitpunkt des Baubeginns gibt es einen langen, schwierigen, militanten Weg.

Können Sie hoffen, dass genug Leute bis zur versprochenen Volksbefragung 2016 überzeugt werden könnten, um das Bewerbungsverfahren vollständig zu beenden?
Es ist eine Hoffnung, aber wegen der Propaganda des Staates schwierig: Ich behaupte nicht, dass einige Individuen allein die olympische Dampfwalze stoppen können. Aber noch ist nichts entschieden. Es gibt einige Schwachstellen, Anfälligkeiten. Auch als das Anti-Paris-2012-Komitee zwischen 2002 und 2005 arbeitete, war der Ausgang der Abstimmung ungewiss. Natürlich sind wir nicht direkt verantwortlich für das Scheitern von Paris 2012 beim IOC, aber wir haben unseren Anteil daran. Das IOC kann nicht die geringsten Protest- oder Antibewegungen ertragen.

Was halten Sie von der Reform-Agenda 2020 des IOC?
Heute das IOC reformieren zu wollen, ist genauso wie 1980 eine Reform der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zu fordern. Es ist zu streng an multinationale Konzerne gebunden, die wirtschaftlich von der Olympia-Show profitieren wollen. Jedoch ist es wichtig, sich zu widersetzen. Die Athleten spielen dabei eine wichtige Rolle: Sie müssen ermutigt werden, Verantwortung für die Zukunft ihres Verbandes und des IOC zu übernehmen: Sie müssen die Teilnahme an dieser Maskerade ablehnen.

Sind Sie im Kontakt mit den Oppositionsbewegungen der anderen Bewerberstädte? Ist eine Zusammenarbeit denkbar?
Natürlich. Die Internationalisierung der antiolympischen Bewegung ist eine absolute Priorität. Wir sind vernetzt mit dem antiolympischen Komitee von Boston (NoBoston 2024) und Hamburg (NOlympia Hamburg 2024). Derzeit organisieren wir eine gemeinsame Plattform.

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