Ein Gefallen für den Koalitionspartner
SPD stimmt ohne Not für die Vorratsdatenspeicherung - der eigenen Partei wird das niemand danken, meint Daniel Schwerd
Vergangenen Samstag hat der SPD-Parteikonvent den Antrag der Parteispitze zur Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung mehrheitlich angenommen. Hinter verschlossenen Türen berieten 250 Delegierte über die Zukunft der Privatsphäre in Deutschland, während die versammelte Presse vor den Türen - und wir alle vor dem Fernseher - warteten.
Der Parteivorsitz hatte sich zuvor eindeutig für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen: Nur zwei der 35 Führungsmitglieder stimmten letztlich dagegen. Ganz anders die Parteibasis: Über 100 Gliederungen der SPD, darunter elf Landesverbände, sind gegen die Vorratsdatenspeicherung. Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Yasmin Fahimi schwangen die große Keule der »Regierungsfähigkeit«, man sprach von Rücktritt, die Redeliste war in geschickter Reihenfolge orchestriert. Und der Konvent kuschte. Letztlich sprachen sich 124 der Delegierten für, 88 gegen den Vorstandsantrag aus. Mit knapp 60 Prozent setzt die Bundes-SPD ihre Beschlusslage pro Vorratsdatenspeicherung fort.
Es wackelt der Schwanz mit dem Hund: Wie kommt es, dass sich die Delegierten all dieser Gliederungen fügen? Wenn sich sämtliche politischen Schwergewichte eindeutig positionieren, sorgt das offenbar für Eindruck. Womöglich hat aber auch das Dauerfeuer polemischer Argumentation zu langsamer Gehirnerosion geführt. So twitterte der baden-württembergische SPD-Innenminister Reinhold Gall: »Ich verzichte gerne auf vermeintliche Freiheitsrechte, wenn wir einen Kinderschänder überführen.« Erkennbar erfolgreich ist die unbewiesene Behauptung, Vorratsdatenspeicherung verhindere Kinderleid, ebenso wie das Mantra, man müsse auf Freiheiten verzichten, um Sicherheit zu gewinnen. Es traut sich offenbar niemand, diese Behauptungen zu hinterfragen - wenn man dann als Kinderschänderfreund gelten muss.
Schmallippig diktiert Gabriel kurz nach der Abstimmung den Journalisten in den Block, dass Freiheit und Sicherheit sich nicht ausschließen - unmittelbar nach den Diskussionen, die gerade das eine gegen das andere erfolgreich ausgespielt haben. Leider spricht ihn niemand auf seine Behauptung an, die Vorratsdatenspeicherung wäre im Fall des Amokschützen Anders Breivik in Norwegen erfolgreich gewesen, obgleich sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht in Betrieb war.
Unterdessen ist es seitens der CDU auffallend still: Weder wurde vorher erkennbar Druck auf den SPD-Konvent ausgeübt, noch gab es anschließend merkliche Kommentare der Parteispitze. Die Christdemokraten können sich vollkommen zurücklehnen, der Sturm der Empörung geht ausschließlich auf die Sozialdemokraten nieder. Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin in NRW, soll nach Medienberichten gesagt haben, sie ärgere sich, dass ihre Partei das Thema auf sich gezogen habe. Damit hat sie recht: Die SPD hat ohne Not ein polarisierendes Thema durchgekämpft, in dem sie dem großen Koalitionspartner einen Gefallen tut und nichts gewinnen kann. Umso unverständlicher ist es, warum der große Vorsitzende sein gesamtes Gewicht dafür in die Waagschale warf.
Die Hoffnungen liegen erneut auf dem Bundesverfassungsgericht. An der grundsätzlichen Konstruktion, dass Daten massenhaft und anlasslos gespeichert werden, ändert der neue Gesetzentwurf nichts. Darüber kann auch der neue Name »Mindestspeicherfrist« nicht hinwegtäuschen. Amüsantes Detail am Rande: Selbst Gabriel nennt die Maßnahme immer wieder »Höchstspeicherfrist« - die Unsinnigkeit dieser Sprachverwirrung wird deutlich, wenn beide Begriffe synonym verwendet werden.
Übrig bleibt eine innen- und bürgerrechtspolitisch nach rechts gerückte SPD: Da, wo sich die CDU befindet. Das ist keine profilschärfende Maßnahme, im Gegenteil: Eine CDU »light« braucht niemand. Ohne Not räumen die Sozialdemokraten reihenweise Positionen links der Mitte. Sie erledigen damit die schmutzige Arbeit der Union - der eigenen Partei wird das niemand danken.
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