Schäuble bezeichnet Sozialkürzungen als »gerecht«
Mitglieder des Bundeskabinetts rechtfertigen Forderungen an die griechische Regierung und drohen mit einem Ausschluss aus der Eurozone
Griechenland droht der Staatsbankrott. An diesem Dienstag läuft das Programm der Europäischen Union für Athen aus. Dieses wird nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der griechischen Regierung nicht verlängert. Die Folgen sind nicht absehbar. Trotz dieser dramatischen Entwicklung will die Bundesregierung ihre Europapolitik nicht ändern. Nach einem Krisentreffen im Kanzleramt mit den Partei- und Fraktionschefs der im Bundestag vertretenen Parteien behaupteten Kanzlerin Angela Merkel und ihr Stellvertreter Sigmar Gabriel von der SPD, dass allein die Griechen an der derzeitigen Situation schuld seien. »Der Wille zum Kompromiss war nicht da«, sagte Merkel. Daraufhin verkündete die CDU-Chefin gönnerhaft, dass die griechische Regierung selbstverständlich das Recht habe, ein Referendum abzuhalten. Doch Merkel räumte den Mächtigen in Europa, die den Griechen ein einseitiges Spardiktat aufzwängen wollen, auch das Recht ein, vor dieser Abstimmung massiven Druck auf die griechische Bevölkerung auszuüben.
Das haben die EU-Finanzminister getan, als sie ihr Angebot an Athen zurückzogen und das laufende Programm auslaufen ließen. Gabriel kündigte an, dass bei einem Ja der griechischen Bevölkerung weiter verhandelt werde. Das Referendum sei eine Abstimmung der Griechen über den Euro als Landeswährung, so der SPD-Chef. Das kann als Drohung verstanden werden, das Land aus der Eurozone auszuschließen. Die von der linken SYRIZA geführte griechische Regierung wirbt dafür, das Angebot der Gläubiger abzulehnen, und müsste bei einer Abstimmungsniederlage wohl Neuwahlen ausrufen.
Derweil hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Schreiben an alle Abgeordneten des Bundestags seine Sicht der Dinge dargelegt. In dem Papier, das »nd« vorliegt, werden die geforderten Kürzungen als Maßnahmen bezeichnet, die »das griechische Sozialsystem leistungsfähiger und gerechter« machen sollen. In Wirklichkeit hatte diese »Reformpolitik« dazu geführt, dass die Armut in Griechenland zunimmt. Darüber verlor Schäuble jedoch kein Wort. Zudem versuchte er, die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt herunterzuspielen, wenn es zu Zahlungsausfällen kommen sollte. Wegen der langen Streckung der Rückzahlungsverpflichtungen Griechenlands sei »die Leitlinie ausgeglichener Bundeshaushalte« auf absehbare Zeit nicht gefährdet. Die geliehenen Milliarden werden nämlich erst ab 2020 fällig. Dann ist Schäuble womöglich längst im Ruhestand.
Linksparteichef Bernd Riexinger forderte die Bundesregierung dazu auf, die deutschen Steuerzahler darüber aufzuklären, dass der Austritt Griechenlands aus der Eurozone auch für sie die teuerste Variante sei. Dabei könnten 84 Milliarden Euro verbrannt werden. Riexinger verwies zudem darauf, dass die griechische Regierung der EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank entgegengekommen sei, aber diese nun »Institutionen« genannte Troika zusätzliche Forderungen erhoben und beispielsweise eine Sondersteuer für Vermögende abgelehnt habe. Letztlich war das Kürzungspaket, das auch weitere Einschnitte bei den Renten beinhaltete, für die griechische Seite nicht hinnehmbar. Riexinger begrüßte die geplante Volksabstimmung der Griechen. Zugleich warnte der Linksparteichef vor einer Vorlage für rechtspopulistische und europafeindliche Parteien, wenn die Gläubiger die Entscheidungen der demokratisch gewählten Regierung in Athen weiterhin nicht akzeptieren sollten.
Der politische Streit über die Krise in Griechenland soll am Mittwoch auch im Bundestag ausgetragen werden. Dabei wollen Merkel, Gabriel und Schäuble für die Bundesregierung sprechen.
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