»Ich will es knirschen hören ...«

Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb begann mit der »Klagenfurter Rede zur Literatur« von Peter Wawerzinek

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.
Als »Fischkopp« und »Ostseedorsch« bekannte sich der Bachmann-Preisträger von 2010 in seiner Rede am Mittwochabend. Zum Auftakt des Preislesens am Donnerstag: drei starke Frauen. Autorinnen sind dieses Jahr ohnehin in deutlicher Überzahl.

Der EC von Frankfurt am Main nach Klagenfurt füllt sich am Mittwoch von Station zu Station mit Literatur-Ausflüglern. Ihr Ziel ist die Landeshauptstadt des österreichischen Bundeslandes Kärnten, wo alljährlich der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis ausgetragen wird. Viele der Reisenden kennen sich seit langem. Thorsten Ahrend vom Göttinger Wallstein Verlag strahlt: »Wir kommen diesmal zu dritt.« In der DDR hatte er von einem Lektorenposten bei Reclam geträumt. Als er ihn hatte, kam die Wende, ihn verschlug es zunächst zu Suhrkamp und dann nach Göttingen. Sein »Selbdritt« meint nicht, dass drei Mitarbeiter des Verlages nach Klagenfurt führen, sondern den sensationellen Umstand, dass drei Wallstein-Autoren die hohen Hürden der Einladung zur Lesung übersprungen haben.

Jeder der sieben Juroren kann nämlich zwei Literaten vorschlagen. Autorin Anna Baar, in Zagreb geborene Klagenfurterin, ist bei Wallstein. Sie wurde von Stefan Gmünder, Literaturredakteur des Wiener »Standard«, eingeladen, einem der Juroren, die dieses Jahr neu ins Kampfrichtergremium berufen wurden. Der Schweizer Jürg Halter, der zweite von Thorsten Ahrends Trio, ist von dem in Lausanne lebenden »Kulturvermittler« Juri Steiner empfohlen worden. Die Dritte im Wallstein-Bunde, die Wienerin Teresa Präauer, ist vom neuen Vorsitzenden der Jury, Hubert Winkels, vorgeschlagen worden. Um ihn gab es im Vorfeld einigen Wirbel, weil die ausgeschiedene langjährige Jurorin Daniela Strigl davon ausgegangen war, eine Zusage für den diesjährigen Jury-Vorsitz erhalten zu haben. Als am Mittwochabend die Reihenfolge der Lesungen ausgelost wurde, wollte es der Zufall, dass alle drei unmittelbar nacheinander am Samstag ihren Auftritt haben.

Das deutschsprachige Publikum kann wie jedes Jahr Lesungen und Diskussionen der Jury live auf 3sat verfolgen, ebenso die öffentliche Diskussion und Abstimmung über die Preisvergabe am Sonntag. Immerhin geht es um 25 000 Euro beim Ingeborg-Bachmann-Preis, um 10 000 Euro beim Kelag-Preis und um 7 500 Euro beim 3sat-Preis. Außerdem wird - nicht von der Jury, sondern per Internet vom Publikum - der BKS-Publikumspreis in Höhe von 7 000 Euro vergeben. Es geht also um einiges. In diesem Jahr haben die Frauen unter den Wettbewerbsteilnehmern erstmals mit zehn von 14 eine Zweidrittelmehrheit errungen. Mit vier Teilnehmern stellt Österreich seit langem wieder eine größere Crew. Die Geburtsjahrgänge der Lesenden reichen von 1959 bis 1989.

Bevor die Reihenfolge bestimmt wurde, mussten die im »ORF-Theater« und im Garten zahlreich erschienenen Besucher noch - gefühlte und gezählte 39 Mal - anhören, dass die Honoratioren sich freuen, zu den 39. »Tagen der deutschsprachigen Literatur« (so heißt der sperrige Wettbewerb seit einigen Jahren) zu begrüßen. Bemerkenswert war lediglich, dass der »Landeshauptmann« von Kärnten, Peter Kaiser (SPÖ), auf die Frage nach dem Buch, das er immer wieder zur Hand nehme, einen Titel von Simone de Beauvoir nannte. Immerhin ein Leuchten im ehemaligen »Haiderland«!

Dann endlich folgte die ersehnte »Klagenfurter Rede zur Literatur« von Peter Wawerzinek, dem Gewinner des hiesigen Preises von 2010. »Tinte kleckst nun einmal« ist diese Rede überschrieben, die begeisterte Aufnahme im Publikum auslöste, bei einigen »Spießern« aber Kopfschütteln wegen ihrer mangelnden Intellektualität hervorrief. Dabei handelt der wie gewohnt performativ vorgetragene Text von »Austrobiographischem«, um den Wortspielereien des Autors zu folgen. Wawerzinek sprach von seiner Kindheit, von der in den Westen abgehauenen Mutter. Sein Leben begann an der Mecklenburgischen Ostseeküste, und er gestand, dass er noch nie im klaren Wasser des Wörthersees gebadet hätte: »Ich mag es nun einmal trübe und tosend: Wellen müssen da sein und schäumen. Quallen und Seetang sollen an meinem Körper entlang ziehen. Sand muss zwischen meine Zähne geraten. Ich will es knirschen hören, wenn ich spreche. Im Klaren verliere ich die Übersicht. Ich bleibe als Österreicher, Klagenfurter, Bachmannpreisträger wohl für immer und lebenslang der ewige Fischkopp und Ostseedorsch.« Bekenntnisse auch zu seinem Schreiben, zugleich Liebeserklärung an Klagenfurt und - hört man ihm genau zu - auch eine an Berlin, wo er als Wurstverkäufer am Kollwitzplatz ein paar Jahre literarisch überwinterte.

Am Donnerstag ging es endlich los. Das Niveau der ersten drei Lesungen lag deutlich über NN, um im Bild der Ostseeküste zu bleiben. Die in Moskau geborene, in Berlin lebende Katerina Poladjan bot mit dem Romanauszug »Es ist weit bis Marseille« einen Text, der die Jury gleich zu Beginn zu Höchstleistungen anstachelte. Die Autorin freute sich über die kontroverse Diskussion. Es folgte eine Performance von Nora Gomringer aus Bamberg. Sie muss nach diesem Feuerwerk als eine der Favoritinnen gelten. Schließlich Saskia Henning von Lange mit »Hierbleiben«, einem spannenden Text über die Langeweile im Führerhaus eines Möbeltransporters.

Drei starke Frauen geben dem Jahrgang schon bei der ersten Kostprobe eine gute Note.

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