Die Ahnung vom anderen Leben
Das Kinder- und Jugendtheater-Festival »Playground Israel« thematisiert den Nahostkonflikt
Ein Kleiderständer. Ein gemustertes Tuch. Ein Hocker. Mehr Bühnenbild ist nicht nötig bei »Samir & Yonatan« vom Hani Theater aus Tel Aviv. Fast leer ist so die Bühne 2 im Theater an der Parkaue. Bis Yogev Yefet kommt. Er spielt Samir, einen palästinensischen Jungen, der nach einem Fahrradunfall in ein jüdisches Krankenhaus eingeliefert wird und dort zum ersten Mal mit jüdischen Menschen in direkten Kontakt kommt.
Yefets Samir beschreibt mit dem Blick eines ungläubig Erstaunten die Menschen im Krankenhaus. Indem er die Krankenschwester, den Arzt, den altklugen Yonatan und die schüchterne Anna als charmante Karikaturen nachspielt, lässt er im Kopf des Zuschauers diese schillernden Charaktere entstehen. Der Kleiderständer mit dem langen Tuch ist kurz ein Krankenhausbett und dann ein Bus. Er dreht sich auch um sich selbst. Und irgendwann zieht Yogev Yefets Samir die Kleiderstange aus dem Ständer und scheint mit ihr zu fliegen.
Bis zu diesem Moment hat Samir von seiner Trauer um seinen älteren, von israelischen Soldaten getöteten Bruder berichtet und sich mit Yonatan, dem Sohn eines Astronomen, angefreundet. Und dieser erzählt von einer anderen möglichen Welt in fernen Galaxien. Im Kontext der israelischen Problematik stehen diese Galaxien und die Sterne, von denen Yonatan mit Begeisterung erzählt, als Metapher für ein friedlicheres Zusammenleben in Israel.
»Samir & Yonatan« in der Inszenierung von Sivan Handelsman eröffnete am Mittwoch das Festival »Playground Israel«, das im Theater an der Parkaue noch bis zum Sonntag stattfindet. Dieses Festival erwuchs aus einer Theaterreise des Intendanten Kay Wuschek nach Israel im vergangenen Jahr. Sieben Gast-Inszenierungen für Kinder und Jugendliche werden in fünf Tagen gezeigt, darunter »The Story of Dummi und Dumma« von Keren Dembinsky und Meital Raz: ein Miniatur-Objekt- und Puppentheater mit einer Kamera, einem Fernseher und vielen winzigen Requisiten. In »Invisi’Ball« der Nadine Animata Theatre Dance Company schafft die Choreographin Nadine Bommer mit zehn Tänzerinnen eine kraftvolle Fußballparodie. »It sounds better in amharic« vom Nepesh Theater aus Tel Aviv ist eine One Man Show. Mit einer Mischung aus Stand-up Comedy und sehr persönlichem Storytelling erinnert sich der aus Äthiopien stammende Yossi Vassa an seine Flucht nach Israel und daran, wie er als Zehnjähriger beginnt, den Alltag im noch fremden Land zu meistern. Das gastgebende Theater an der Parkaue bringt im Rahmen des Festivals die Inszenierung »Der Pfad der Orangenschalen« auf die Bühne, die auf den Jugenderinnerungen des israelischen Malers und Schriftstellers Nachum Gutman basiert. Auf poetische Weise erzählt sie die Geschichte von jungen Menschen zwischen den Fronten und der Sehnsucht nach Frieden und Leben.
Ein umfangreiches Begleitprogramm ergänzt die Inszenierungen. So tritt an diesem Freitag im Hof des Theaters der bekannte israelische Jazzpianist Omer Klein auf. Und am Sonnabend lesen Michal Zamir, die Gründerin der »Hebräischen Bücherei Berlin«, und Ayelet Gundar-Goshen, die für ihren ersten Roman »Einen Nacht, Markowitz« den renommierten Sapir-Preis für das beste Debüt Israels bekam, im Rahmen einer langen israelischen Lesenacht.
Yogev Yefets zwölfjähriger Samir erzählt in der Eröffnungsinszenierung des Festivals von den Folgen einer inhumanen Politik auf die Wirklichkeit eines Kindes, das in der Westbank aufwächst. Dieser besondere Blick zeigt, wie diese Unmenschlichkeit in jede Alltagssituation eindringt. So bekommen die russischstämmige Anna und Yonatan regelmäßigen Besuch von ihren Eltern, während Samir seine Knieoperation alleine durchstehen muss, da seine Familie die Westbank nicht ohne weiteres verlassen kann. Als er geheilt die Klinik verlassen darf, ist sein Vater immer noch nicht da. Aber Samir hat mit Yonatan die Sterne gesehen - und eine Ahnung von einem anderen, leichteren Leben bekommen.
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