Atomindustrie am EU-Tropf
Unternehmerbündnis klagt gegen Subventionen für AKW Hinkley Point C
Nachdem vergangene Woche bereits Österreich Klage gegen die Beihilfen für das britische Atomkraftwerk Hinkley Point C vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg angekündigt hat, reicht Greenpeace-Energy gemeinsam mit weiteren Ökostromanbietern und Stadtwerken in den kommenden Tagen ebenfalls eine Klage gegen die EU-Subventionen ein.
Nach Angaben des Instituts Energy Brainpool belaufen sich die Staatshilfen für den im Südwesten Englands ans Netz gehenden Atommeiler auf über 100 Milliarden Euro. Dabei seien Kosten für die Endlagerung des Atommülls, den Rückbau der Anlage und Störfälle noch nicht eingerechnet. Die EU-Subventionen garantieren dem künftigen Betreiber der Atomanlage über die nächsten 35 Jahre einen fixen Strompreis von 12 Cent je Kilowattstunde sowie Kreditgarantien und Inflationszuschläge. Zusätzlich werden Verlustausgleiche zugesichert, sollte es in den kommenden Jahren zu einem britischen Atomausstieg kommen. Durch diese Subventionen könnte der Betreiber den Strompreis um 20 Cent pro Megawattstunde senken und so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Anbietern erreichen. Ökostromanbieter, aber auch kommunale Energiebetreiber wären von einer Wettbewerbsverzerrung betroffen.
Achim Kötzle, energiewirtschaftlicher Geschäftsführer der Stadtwerke Tübingen, sieht in den Beihilfen für Hinkley Point C »ein nachhaltig negatives Störsignal« für die Wirtschafts- und Investitionstätigkeit der Stadtwerke, die sich einer regionalen Energieversorgung und dem Ausbau der erneuerbaren Energien verpflichtet sehen. »Dass ein einzelnes Atomkraftwerk mit dreistelligen Milliardenbeträgen aus dem öffentlichen Haushalt bezuschusst werden muss, kommt einer Bankrotterklärung der Atomindustrie gleich«, sagt Sönke Tangermann, Vorstand von Greenpeace-Energy. »Hier liegt eindeutig das Versagen einer zugleich gefährlichen und unwirtschaftlichen Technologie vor.«
Die Klägergemeinschaft geht davon aus, dass in anderen EU-Ländern das britische Beihilfemodell übernommen wird und so weitere Atomanlagen durch öffentliche Gelder realisiert werden. Unter anderem AKW-Projekte in Osteuropa, aber auch weitere in Großbritannien könnten durch den Präzedenzfall von Hinkley Point C profitieren. Energy Brainpool hat im Auftrag der Klagegemeinschaft errechnet, dass geplante, subventionierte AKW in sechs EU-Staaten den Großhandelspreis für Strom in Deutschland um bis zu 11,8 Prozent drücken können.
So wird der AKW-Ausbau in der EU mittelbar auch für die Verbraucher in Deutschland spürbar: Sie müssten bis zu 16,39 Euro mehr EEG-Umlage pro Jahr zahlen. Auch der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) möchte mit dem Gang vor das EuG Hinkley Point C als Blaupause für weiter Projekte verhindern: »Diese Klage soll vor allem eine abschreckende Wirkung auf Investoren, und zwar nicht nur in Großbritannien, sondern europaweit haben. Beihilfen sind dazu da, neue und moderne Technologien zu unterstützen - das trifft bei Atomkraft in keiner Weise zu«, erklärte er vergangene Woche.
Der Bundestag wollte am Donnerstagabend entscheiden, ob auch Deutschland Klage einreichen wird. Ein Ergebnis lag zu Redaktionsschluss nicht vor. Bisher verweist das Wirtschaftsministerium auf geringe Erfolgsaussichten. Nach Einschätzung der Klagegemeinschaft aus Stromanbietern und Stadtwerken enthält die Genehmigung der Atomsubventionen aber zahlreiche Rechtsfehler: »Anders als die EU-Kommission argumentiert, stellt der Ausbau der Atomkraft kein gemeinsames Interesse der Europäischen Union dar, sondern ist in vielen Mitgliedsländern inzwischen sogar illegal«, so Anwältin Dörte Fouquet.
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