Es muss kein Schuldenschnitt sein
»Jahrhundertbonds« könnten eine mögliche Alternative aus der Griechenland-Krise sein, sagt Herbert Schui
»Es gibt Situationen, in denen das politische Verhandlungsergebnis kein Kompromiss zwischen zwei Positionen, sondern einfach die geltende Rechtslage sein muss.« Das ist offenbar die Position des Juristen Schäuble, der deutschen Regierung und der Institutionen bei den Verhandlungen mit Griechenland. Dieser markante Satz stammt von Lars Feld (Handelsblatt vom 10.2.2015). Feld ist überzeugter sozialer Marktwirtschaftler, Leiter des Walter Eucken Instituts in Freiburg und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen an. Er hat sich sehr dafür stark gemacht, dass das Grundgesetz um die Schuldenbremse bereichert worden ist.
Griechenland wird seine Schulden nie zurückzahlen können. Das ist die wirtschaftliche Lage. Betrachtungen zur Rechtslage helfen da nicht weiter. Also ein Schuldenschnitt? Wer sind die Gläubiger Griechenlands, wer muss den Schaden tragen? Griechenland hat rund 320 Milliarden Euro Schulden. 15 Prozent hiervon liegen bei der griechischen Zentralbank, fünf Prozent bei privaten Anlegern. Den großen Rest in Höhe von 80 Prozent (240 Milliarden) halten öffentliche, nicht griechische Stellen, darunter der Euro-Rettungsfonds (EFSF/ESM) als größter Gläubiger. Weitere Gläubiger sind die EU-Staaten, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF). Das deutsche Mindesthaftungsrisiko aus dem EFSF/ESM beträgt knapp 55 Milliarden Euro. Hinzu kommt die Haftung für Verluste der EZB oder des IWF.
Ob Schuldenschnitt oder Haftung, das macht keinen grundsätzlichen Unterschied. Finanziert werden muss der Verlust in jedem Fall aus den Steuereinnahmen oder mit Staatsverschuldung, soweit dies die Schuldenbremse bzw. der europäische Fiskalpakt zulassen. Schuldenschnitt oder Haftung aber sind nicht die einzigen Möglichkeiten, mit der griechischen Zahlungsunfähigkeit zurecht zu kommen. Das erweiterte Programm der EZB zum Ankauf von Vermögenswerten vom 22. Januar 2015 eröffnet zusätzliche Möglichkeiten: Im Rahmen dieses Programms dehnt die EZB ihre Ankäufe auf Anleihen aus, die von Staaten, Emittenten mit Förderauftrag und EU-Institutionen gegeben werden. Der Vorläufer dieses Programms war das OMT-Programm der EZB. Hiergegen wurde beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Der Europäische Gerichtshof aber, an den das Bundesverfassungsgericht die Klage weiterreichte, urteilt, dass die Zentralbank damit ihre Kompetenzen nicht überschreitet. Der EuGH beweist Weitblick. Denn es können nach Griechenland weitere überschuldete Staaten dazukommen.
Nachdem die Europäische Zentralbank und auch der Europäische Gerichtshof so beweglich geworden sind, lässt sich in einem weiteren Schritt die griechische Schuldenfrage mit Konsols (auch bekannt als »Jahrhundertbonds«) aus der Welt schaffen. Konsols sind Wertpapiere mit langer oder unbegrenzter Laufzeit. Sie müssen also nicht zwingend zurückgezahlt werden. Der britische Finanzminister George Osborne nutzt diese Anleihen wieder seit 2005, um von den niedrigen Zinsen zu profitieren. Seitdem legt das britische Schatzamt Anleihen auf, die erst in 50 Jahren fällig werden. Ähnlich kann die griechische Regierung verfahren. Sie legt eine zinslose Anleihe in Form von Konsols mit unbegrenzter oder sehr langer Laufzeit auf. Damit ist das Ausfallrisiko sehr gering. Diese Konsols kauft die EZB. Griechenland bekommt von der EZB im Gegenzug ein Euroguthaben, mit dem es seine ausstehenden Anleihen von den gegenwärtigen Gläubigern zurückkauft. Im Rahmen des gegenwärtigen Kaufprogramms der EZB sind gut 300 Milliarden Euro nicht viel. Das entspricht dem Umfang an Schuldtiteln, der in fünf Monaten gekauft werden soll.
Griechenland hätte damit freie Hand für einen Neuanfang. Die ehemaligen Gläubigerländer sind die Sorge los, bei einem Schuldenschnitt oder bei Haftung öffentliche Mittel einsetzen zu müssen. Wie stehen die Chancen für eine solche Lösung, die im Rahmen unseres modernen Kreditgeldes ohne weiteres möglich ist? In einem Beitrag für »Conversation« vom 28.6.2015 schreibt Barry Eichengreen (University Berkeley, Mitglied des National Bureau of Economic Research), dass der Weg zur griechischen Tragödie mit politischer Inkompetenz gepflastert sei.
Herbert Schui ist Volkswirtschaftler und war für die LINKE im Bundestag.
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