Der IWF als Wahlhelfer von SYRIZA
... und wie Euro-Staaten das verhindern wollten. Die Geschichte eines Schuldentragfähigkeitsreports
Der Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte am Freitag offenbar kein gutes Argument mehr in petto, um auf die im Raum stehende Frage nach einem weiteren Schuldenschnitt für Griechenland zu antworten. Also attackierte Martin Jäger die Regierung in Athen, diese sei wegen ihrer »Misswirtschaft« an der sich verschlechternden Lage Schuld. Man bleibe auch beim kategorischen Nein zu einem weiteren Schuldenschnitt.
Dem vorausgegangen war nicht nur eine schon länger anhaltende Debatte, in der sich zahlreiche Experten mit dem Hinweis zu Wort gemeldet hatten, dass Griechenland unter der Last der ihm aufgebürdeten Schulden nie eine Chance haben würde, wieder eine eigene, tragfähige Ökonomie zu entwickeln – schon gar nicht, wenn zugleich die Kreditprogramme mit Auflagen verknüpft werden, die sich sozial und wirtschaftlich negativ auswirken.
Es kam am vergangenen Donnerstag noch etwas anderes hinzu: Der Internationale Währungsfonds hatte in einer Bewertung der Schuldentragfähigkeit des Landes vermerkt, dass eine Lockerung des umstrittenen und erfolglosen Austeritätskurses auch einen Schuldenschnitt notwendig machen würde.
In Athen war man schier begeistert. Der IWF-Report »bestätigt voll die griechische Regierung«, sagte deren Sprecher Gabriel Sakellaridis in Athen. Das gelte für ihre Sicht auf die mangelnde Nachhaltigkeit der griechischen Schulden ebenso wie für ihre Forderung, dass jede neue Vereinbarung mit den Gläubigern eine Restrukturierung oder einen Schuldenschnitt enthalten müsse. Finanzminister Yanis Varoufakis sprach von einem »faszinierenden Lesestück«. Der IWF habe »zum ersten Mal erkannt« habe, dass es auf dem bisher verfolgten Kurs kein Happy End geben wird – auch nicht für die Gläubiger.
Varoufakis wunderte sich zugleich, dass eine Institution so lange eine Politik befürworten könne, »die so gnadenlos mit der eigenen Forschung kollidiert«. Die Bewertung der Schuldentragfähigkeit hatte der Apparat des IWF vorgelegt – politisch blieb das Papier hoch umstritten. Die »New York Times« schrieb, der Bericht werde »wahrscheinlich Spannungen mit den europäischen Gläubiger Griechenlands in einem kritischen Moment schüren«.
Die Spannungen hatte es da schon gegeben. Denn der kritische Moment war das Referendum am Sonntag. Und der IWF-Report stützte das »Nein« der SYRIZA-geführten Regierung, kam eine Einigung mit den Gläubigern doch bisher auch aus genau diesem Grund nicht zustande: Weil man Athen keine Schuldenerleichterung zugestehen wollte. Und weil der IWF hier die Position von SYRIZA untermauerte, versuchten Regierungen von Euro-Staaten, die Veröffentlichung eines Berichts offenbar zu stoppen.
Das jedenfalls berichtete die Nachrichtenagentur Reuters am Freitagnachmitag. Demnach hat es über die Veröffentlichung und den Zeitpunkt hinter den Kulissen einen Streit zwischen IWF und Euro-Staaten gegeben. Während die Europäer auf die Bremse traten, und eine Veröffentlichung vor dem Referendum ablehnten, plädierten unter anderem die USA auf eine frühere Veröffentlichung. »Die EU muss verstehen, dass nicht alles auf der Grundlage ihrer eigenen Vorstellungen entschieden werden kann«, wird eine IWF-Quelle zitiert. Man könne die Fakten nicht »verstecken«, nur weil sie politisch genutzt werden könnten.
Apropos verstecken: In der deutschen Berichterstattung spielte die Geschichte vom Streit um den IWF-Report kaum eine Rolle.
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