Schwammige Resolution

Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl hat im Parlament gegen den Vorschlag ihres Parteikollegen zu TTIP gestimmt

  • Lesedauer: 5 Min.
Maria Noichl ist seit 2014 Europaabgeordenete der SPD aus Bayern. Die erklärte TTIP-Kritikerin lehnt den Kompromiss zu Sonderklagerechten für Konzerne ab. Haidy Damm sprach mit der Sozialdemokratin über freie oder faire Handelsbedingungen, Lobbygruppen und das mögliche Ende von CETA.

Sie haben im EU-Parlament den Kompromissvorschlag für eine Resolution zu TTIP abgelehnt, auch wegen Ihrer Kritik an Schiedsgerichten. Warum lehnen Sie ISDS ab?
Die privaten Schiedsgerichte sind für mich erst der zweite kritische Schritt. Davor liegt das Sonderklagerecht für Konzerne. Auch wenn Schiedsstellen so ausgerichtet würden, dass sie transparent sind und öffentlich bestellte Richter entscheiden, bliebe das System unverändert. Ausländische Konzerne können klagen, aber nicht Staaten, auch keine inländischen Unternehmen und schon gar keine Verbraucher. Mir war die Resolution an dieser Stelle zu schwammig, ich glaube, das System der Sonderklagerechte lässt sich nicht reformieren.

Diese Meinung teilen nicht viele Ihrer SPD-Kollegen.
Es gab ja nicht nur drei SPDler, die dagegen gestimmt haben, auch wenn die deutschen Medien es so darstellen. Aus der europäischen S&D-Gruppe haben 65 Abgeordnete gegen den weichgespülten ISDS-Antrag gestimmt. Das sind 15 Stimmen mehr als die Grünen im Parlament haben. Dabei geht es mir nicht darum, an dieser Stelle eine Konkurrenz zu den Grünen aufzumachen, denn wir sind uns in vielen Punkten sehr einig. Aber es ist schon schade, wenn so getan wird, als seien sie die einzig Aufrechten. Auch die Gesamtresolution wurde von 56 S&D-Abgeordneten abgelehnt. Das zeigt, die Zustimmung zu dem Papier war zumindest äußerst kritisch, und das bei einem Berichterstatter, der mit Bernd Lange aus der eigenen Gruppe kommt. Die vielen kritischen Stimmen zeigen auch, TTIP wird in allen Mitgliedsländern diskutiert, es geht nicht um eine »rein deutsche Hysterie«. Sowohl die gesamte belgische, britische wie auch österreichische Delegation und viele S&D-Abgeordnete aus Frankreich haben dagegen gestimmt.

Ein Kritikpunkt ist die Regulatorische Kooperation, mit der »nicht-tarifäre Handelshemmnisse« abgebaut werden sollen. Inwiefern sind diese Vorhaben mit TTIP und den Vorgaben für Handel konform? Sind sie undemokratisch?
Auf jeden Fall. Laut dem Vorschlag soll ein Rat installiert werden, der sich wie eine Art Filter noch vor Parlamenten mit Gesetzesinitiativen beschäftigt unter der Fragestellung: Wie wirken sich diese auf die Gewinnerwartung aus? Ich denke, das ist sehr gefährlich. Durch diese Vorinstanz, die nicht gewählt ist, entsteht auch auf Seiten der Parlamentarier eine Schere im Kopf. Zwar gibt es schon jetzt Lobbygruppen, die uns auf bestimmte Auswirkungen hinweisen - und das ist nicht immer schlecht - aber mit diesem Vorschlag wird ein offizielles Gremium geschaffen, das das Recht hat, Einfluss zu nehmen.

Ein strittiger Punkt zwischen den Verhandlungspartnern scheint nach wie vor das Thema Gentechnik.
Gentechnik sollte für das EU-Parlament eine rote Linie sein. Aber es hat sich ja bereits gezeigt, dass wir in Sachen Gentechnik nicht an einem Strang ziehen. Denn es gibt Länder, die wollen Gentechnik auf den Äckern. Jetzt haben wir diese Opt-out-Regelung, die besagt, dass jedes Mitgliedsland selbst entscheidet. In Deutschland will der Bundeslandwirtschaftsminister die Entscheidung sogar den einzelnen Bundesländern überlassen, so kleinteilig wird das.

Was heißt das für TTIP?
Ich halte es für schwierig zu glauben, es reicht, wenn wir Gentechnik aus dem Handelsvertrag raushalten, und das ist ja der Vorschlag in der Resolution. Denn bei der Gentechnik haben wir schon jetzt ein großes Problem: Tierische Erzeugnisse wie Fleisch und Milch, aus mit GVO gefütterten Tieren werden nicht gekennzeichnet. Wir wollen diese Kennzeichnung von Produkten dringend, aber sie liegt noch immer auf Halde. Denn es gibt ein Gutachten vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, dass deutlich macht, dass eine Kennzeichnungspflicht mit dem Risiko entsprechender Klagen aus den USA behaftet wäre. Hier wirft ein mögliches Abkommen bereits jetzt seinen Schatten auf innenpolitische Initiativen.

Am Montag hat das Recherchebüro Correct!v Papiere veröffentlicht, die zeigen, dass die USA in ihrer Verhandlungsstrategie darauf setzen, möglichst viele strittige Punkte erst zum Schluss anzusprechen, um so Druck aufzubauen. Wie sollte die EU darauf reagieren?
Das halte ich für problematisch, denn am Schluss wird es zugehen wie auf einem Basar. Es wird entscheidend sein, wer welche starken Lobbykräfte hinter sich hat. Ich habe große Sorge, dass dann etwa die Lebensmittelsicherheit geopfert wird, wenn es auf der anderen Seite angeblich um viele Arbeitsplätze und um eine hohe Wirtschaftsmacht geht. Und dann soll es eben sehr, sehr schnell gehen und der Zeitdruck wird immens.

Wenn Sie Ihre Kritikpunkte zusammennehmen: Braucht Europa dieses Abkommen?
Ich glaube, die Welt braucht Abkommen, die Handel reglementieren, weil wir die negativen Seiten eines ungeregelten Handels an vielen Stellen merken. Aber brauchen wir dieses Abkommen? Nein. Schon der Name zeigt das: Freihandels- und Investorenschutzabkommen. Als Sozialdemokratin würde ich mir Fairhandels- und Verbraucherschutzabkommen wünschen. Hinzu kommt, dass die negativen Auswirkungen auf Länder des Südens viel zu wenig beachtet werden. Nach dem jetzigen Stand schaffen wir ein Abkommen, das in der Folge Entwicklungs- und Schwellenländer in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ausbremst und so weitere Fluchtursachen nach sich zieht. Hier tragen wir eine Mitverantwortung. Handelsabkommen sind nicht nur Abkommen zwischen zwei Mächten, die Waren hin und her schieben, Handel ist mehr als Warenaustausch.

Das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada ist verhandelt und gilt als Blaupause für TTIP, auch private Schiedsgerichte sind darin vorgesehen. Das EU-Parlament muss dem Abkommen noch zustimmen. Wie sehen Sie die Chancen, dass CETA in Kraft tritt?
Bernd Lange, der die Resolution verhandelt hat, hat die Auswirkungen auf CETA deutlich gemacht: Das Abkommen mit Kanada, so wie es jetzt auf dem Tisch liegt, ist aus sozialdemokratischer Sicht nicht zustimmungsfähig. Das Abstimmungsergebnis zeigt, es ist der Wille des Parlaments, egal ob TTIP oder CETA, keinem Abkommen zuzustimmen, in denen ISDS verankert oder ILO-Kernarbeitsnormen nicht eingehalten werden. Das ist die gute Nachricht, die noch zu wenig beachtet wurde.

Der Weg der bilateralen Abkommen wurde erst beschritten, nachdem seine multilaterale Variante gescheitert war. Wäre es ein Ausweg, dahin wieder zurückzukehren?
Eigentlich bräuchten wir eine weltweite Organisation von Handel und nicht diese Rosinenpickerei. Wir brauchen insgesamt gute Bedingungen für Handel, besonders für Schwellen- oder Entwicklungsländer. Ich würde ein Gesamt-Handelsabkommen auf WTO-Ebene einem bilateralen vorziehen. Aber diese Verhandlungen sind auch gescheitert, weil es nicht möglich war, global faire Handelsbedingungen zu schaffen. Das lässt sich mit TTIP erst recht nicht lösen.

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