Ohne Guthaben in die Revolution

In der Hauptstadt begann der Prozess rumänischer Bauarbeiter gegen die »Mall of Berlin«

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 8 Min.
Auch neun Monate nach Eröffnung des größten Einkaufszentrums Berlins warten Arbeiter noch immer auf ihren Lohn. Mit Hilfe der Gewerkschaft FAU ziehen sie vor Gericht.

Die »Mall of Berlin« an einem Samstag im Juni. Kunden schlendern durch den überdachten Innenhof. Mehrere Läden stehen leer, die übrigen Geschäfte sind kaum besucht, keine Schlangen an den Kassen, wie man sie von anderen Einkaufszentren an einem Samstagnachmittag gewohnt ist. »Voll ist was anderes«, sagt die Verkäuferin eines Jeansgeschäfts. Deutlicher drückt sich der Filialleiter eines Modegeschäfts aus: »Die Mall läuft nicht gut.«

Das spiegelt auch die Nachrichtenlage wieder. Neun Monate nach der Eröffnung hat die »Mall of Berlin« nahe des Potsdamer Platzes im Zentrum Berlins noch immer Baumängel. Der ehemalige Generalunternehmer Fettchenhauer hat Insolvenz angemeldet und nun auch noch bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige wegen unbezahlter Rechnungen gegen den Bauherrn Harald G. Huth eingereicht. Der war für Nachfragen nicht erreichbar.

Leer ausgegangen sind auch die Bauarbeiter, die für zum Teil zwielichtige Subunternehmen Steine aufeinander geschichtet, Rohre und Leitungen verlegt und Putz aufgetragen haben. Und sie haben die Bodenplatten eingelassen. »Die Würde des Menschen ist unantastbar« - Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht in großen Lettern auf dem Grund im Eingangsbereich der Mall. Kaum ein Kunde scheint die Worte wahrzunehmen, während er zum nächsten Shoppingerlebnis läuft. Auch interessieren sich nur wenige für die Protestaktion vor dem Haupteingang: 30 Mitglieder der kämpferischen Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) stehen dort mit einem Banner und verteilen Flyer mit dem Slogan »Mall of Shame«. Sie sind hier, weil rund 50 rumänische Bauarbeiter um ihren Lohn geprellt und bis heute noch immer nicht bezahlt wurden.

Elvis Iancu ist einer von ihnen. Anfang Juli sitzt er in einem großen kargen Zimmer eines Wohnprojektes am Rande Berlins. Das Zimmer mietet er mit zwei anderen Rumänen zu einem Solipreis. Elvis ist erst seit ein paar Tagen wieder in Deutschland. Er musste wiederkommen, sagt der 45-Jährige, sein Laden in Konstanza werfe nicht genug ab für die große Familie. Und er will sich die Gerichtsprozesse gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber nicht entgehen lassen, die am Donnerstag vor dem Arbeitsgericht in Berlin beginnen sollten.

Elvis war es, der vor neun Monaten den Protest der rumänischen Arbeiter an der »Mall of Berlin« organisiert hatte. Erst versuchten sie mit Worten, dann mit Transparenten und schließlich mit der Hilfe von Gewerkschaften, ihren Lohn einzufordern. 16 von ihnen erhielten schließlich je 700 Euro - nur ein Teil dessen, was ihnen zustand.

Er fängt ruhig an zu erzählen, zwischendurch stützt er die Ellbogen auf den Tisch, nimmt den Kopf in die Hände: Er denkt nach, versucht sich an Details zu erinnern.

Im Juli 2014 war er nach Deutschland gekommen, um für fünf Euro pro Stunde an der »Mall of Berlin« zu bauen. Das Einkaufszentrum sollte mit rund 80 000 Quadratmetern Verkaufsfläche und 270 bis 300 Geschäften die größte Shoppingmall der Stadt werden und eine der größten Deutschlands. Elvis arbeitete für Openmallmaster, eine Firma ohne eigene Internetseite und mit lediglich einer c/o-Adresse bei einer Rechtsanwaltskanzlei in Frankfurt am Main.

Jede Woche bekam Elvis von seinem Chef bei Openmallmaster, Alexandru P., Bargeld in die Hand gedrückt. Einen Arbeitsvertrag erhielt er nie. Stattdessen wurde er immer wieder auf den nächsten Tag vertröstet. Einmal hieß es, die Sekretärin sei gerade nicht da, ein anderes Mal, dass Papiere fehlten. Als die Mall im Oktober 2014 mit mehreren Monaten Verspätung und erheblichen Baumängeln eröffnet wurde, gab es weiterhin Arbeit für Elvis und seine Kollegen, doch das Geld blieb plötzlich aus. P., den sie immer nur Sascha nannten, vertröstete die Arbeiter von Tag zu Tag auf »morgen«. Nach zwei Wochen hatte Elvis genug. »Wenn wir in ein paar Tagen unser Geld nicht bekommen, dann protestieren wir«, sagte er zu Sascha. »Morgen«, sagte der. Die Tage vergingen.

Ein anderer Arbeiter erzählte Elvis vom DGB. Es dauerte, bis Elvis die Adresse herausgefunden hatte. Dann ging er mit einem Kollegen hin, niemandem sonst erzählte er davon. Er wollte Anzeige erstatten. Am Tag darauf kam tatsächlich der Zoll, der dafür zuständig ist, Baustellen auf Schwarzarbeit zu kontrollieren. Doch die Arbeitgeber hatten Wind davon bekommen und setzten die Rumänen an Stellen in der Mall ein, wo sie für den Zoll nicht sichtbar waren. Dann kam Sascha. Er drohte, wer beim DGB war, bekomme sein Geld nicht. Die Arbeiter hielten dicht und drohten zurück: Wenn wir unser Geld nicht bekommen, hören wir auf zu arbeiten. Drei Wochen, vier Wochen. Dann war das Geld aus. Die Wohnung, in der sie mittlerweile zu 16 Mann schliefen, konnten sie nicht mehr bezahlen. Elvis ging wieder zu Sascha. »Wir brauchen Geld, sonst fliegen wir aus unserer Wohnung.«

Nichts passierte. Am Abend fuhren die Arbeiter nach Hause, nahmen ein Notizbuch und stimmten über Slogans ab, die sie mit Hilfe des Internets ins Deutsche übersetzten. Sie einigten sich sinngemäß auf »Sklaverei, geschützt durch das Gesetz«. So schrieben sie es auf ein Bettlaken. Am nächsten Morgen zogen sie mit ihrem gesamten Hab und Gut zum Potsdamer Platz. Vor den Containerbüros falteten sie das Laken auseinander. Dann kam Peter M.*, Saschas Chef.

Elvis steht auf. »Mit so einer Luxuslimousine«, sagt er, breitet die Arme aus und schreitet mehrere Meter im Zimmer ab. »Und mit zwei Gorillas an seiner Seite.« Elvis plustert sich auf, um die muskelbepackten Männer zu imitieren, verschränkt die Arme. Peter habe auf das Bettlaken gezeigt. »Wer ist dafür verantwortlich? Der kommt jetzt mit.« Elvis ging. In eines der Büros hinter der Mall, riesig sei das gewesen, mindestens drei Container. Dort warteten noch mehr Gorillas. M. verlangte, dass die Arbeiter ihm das Bettlaken aushändigten und sich davon scherten. Schließlich versprach er, ihnen bis 16 Uhr ihren Lohn auszuzahlen.

Sie warteten bis 16 Uhr, bis 18 Uhr. Wieder nichts. »Morgen früh diskutiere ich nicht mehr«, sagte Elvis zu Sascha. Die Arbeiter legten sich vor das Einkaufszentrum und schliefen in Schichten. »Da waren so viele Ratten. Jemand musste Wache halten und sie verscheuchen, damit sie nicht an uns nagten.« Ein bisschen kühl sei es auch gewesen.

Am nächsten Morgen stellten sie sich mit einem Schild vor dem Eingangstor der Mall auf. Die Polizei kam und fragte, ob die Demonstration angemeldet sei. Anmeldung? Sie fragten die Polizisten, an wen sie sich dafür wenden mussten, und bekamen eine Telefonnummer, konnten sich am Hörer aber nicht verständlich machen. Die Männer packten zusammen. Tags darauf stellten sie sich mitten auf die sogenannte Piazza, mit Schildern und Parolen. »Gebt uns Geld!« Die Sicherheitsmänner riefen die Polizei, und die Arbeiter mussten wieder einpacken. Aber dieses Mal half ihnen einer der Polizisten, eine Demo für den nächsten Tag anzumelden. »Der hat verstanden, worum es ging.« Zum ersten Mal demonstrierten sie, ohne verscheucht zu werden. Am Abend kam Peter M. und gab jedem von ihnen 300 Euro. Kläglich. Openmallmaster war bei jedem Arbeiter mit rund 1500 Euro im Rückstand. Nach ihren eigenen Stundenzetteln und dem gesetzlichen Mindestlohn wäre es etwa das Doppelte gewesen.

Die meisten Rumänen waren zu dem Zeitpunkt schon zurück nach Hause gefahren, jetzt gaben auch fast alle anderen auf. Was ihn hier hielt? »Wir sind so oft lächerlich gemacht worden«, sagt Elvis. »Am schlimmsten war aber die Gleichgültigkeit, mit der wir behandelt wurden. Sascha, Peter, sie haben gesehen, dass wir auf der Straße schliefen, aber es war ihnen einfach egal.« Das wollte er ihnen nicht gönnen. Elvis springt auf, demonstriert eine Szene, in der er mit Sascha diskutierte, fast wirkt es wie Slapstick, er lacht selbst, Hilflosigkeit. »Ruf Peter an, wir wollen unser Geld«, sagte er. Sascha hatte aber kein Guthaben auf dem Handy. »Nimm meines«, fordert ihn Elvis auf. Bei fremden Nummern hebe Peter nicht ab, behauptete Sascha. »Weil du kein Guthaben auf dem Handy hast, werden wir jetzt eine Revolution anzetteln.«

Beinahe hätte er die Revolution doch noch abgeblasen und Deutschland den Rücken gekehrt, wäre da nicht die FAU gewesen. Fast liebevoll erzählt Elvis von seinem ersten Besuch in den halbdunklen Kellerräumen des Gewerkschaftslokals die einen krassen Kontrast zum schicken DGB-Haus am Hackeschen Markt boten. »Erst dachte ich: Ist das hier legal?« Beinahe wäre er wieder umgedreht. »Aber wir hatten ja nichts mehr zu verlieren«, erinnert sich Elvis. Die FAU-Mitglieder kochten für sie, boten ihnen Schlafplätze an, demonstrierten sie mit ihnen vor der Mall und besorgten den Arbeitern schließlich einen Anwalt.

Mittlerweile haben sie mehrere Güteverhandlungen hinter sich, die aber ergebnislos verliefen: Die Anwälte der beklagten Firmen - neben Openmallmaster ein weiteres Subunternehmen - tauchten bei mehreren Terminen im April nicht auf, wie das Berliner Arbeitsgericht auf nd-Anfrage bestätigte. Deshalb begann jetzt die Hauptverhandlung.

Für Openmallmaster kann die Verschleppung teuer werden: Die Arbeiter beharren nicht mehr nur auf ihren zugesicherten fünf Euro Stundenlohn, sondern auf den branchenüblichen Tariflohn von über elf Euro. Insgesamt geht es um 33 000 Euro. 6737 Euro fordert allein Elvis ein. Ob er glaubt, dass sie gewinnen? »Ich hoffe es.«

Der erste Verhandlungstermin am Donnerstag platzte, wieder war Peter M. nicht erschienen - wegen Krankheit. Die Arbeitsrichterin kommentierte: »Arbeitsunfähig heißt nicht unbedingt verhandlungsunfähig«. Die Anwaltskanzlei, die Openmallmaster vertritt, gab sich auf nd-Anfrage wortkarg. Zu den konkreten Vorwürfen könne er nichts sagen, sagte der Anwalt. Überdies sei er bei Terminen, von denen er wusste, auch anwesend gewesen. Der nächste Verhandlungstag ist für den 20. Juli angesetzt.

*Name geändert

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.