Anständiger Amtsarschtritt
Christian Baron über den kalten Zynismus der Bürokratie
Menschen sind nicht von Natur aus böse. Man muss das immer wieder sagen, weil der kapitalistische Wahnsinn einen täglich vom Gegenteil zu überzeugen droht. Wenn Polizisten, Lehrer und Verwaltungsmitarbeiter von oben befohlene Missetaten exekutieren, müssen sie sich einreden, in Wahrheit doch richtig zu handeln; sonst hielten sie ihre bedauernswerte Existenz nicht aus. Das gilt auch für jene Person im Sozialamt Tempelhof-Schönebergs, die in ungelenkem Amtsdeutsch den wegen Zwangsräumung obdachlos gewordenen Ex-Bewohnern der Grunewaldstraße 87 »angeboten« hat, ihnen ein Ticket zurück nach Rumänien oder Bulgarien zu sponsern: »Die Heimreise ist Teil des Selbsthilfepotenziales der Betroffenen, das vor einer ordnungsbehördlichen Unterbringung auszuschöpfen ist.«
Der wandelnde Aktenschrank, dem dieser Satz eingefallen ist, mag sich in klassisch legalistischer Manier nachts mit gutem Gefühl ins kuschelige Schlafgemach zurückziehen: Es ist doch nur ein wohlgemeintes Angebot! EU-Bürger dürfen sich schließlich in der Europäischen Union frei bewegen. Und das Bezirksamt ist ohnehin machtlos gegen die privaten Eigentümer. Wäre da die »Heimreise« nicht das beste für alle?
Mit welcher Selbstverständlichkeit hier ein anständiger Amtsangestellter zum Arschtritt ausholt und in selbigem auch noch Hilfe zur Selbsthilfe erkennt, zeigt, wie die Selbsttäuschungsmechanismen einen unbedarften Schreibtischtäter sogar im Angesicht blanker Not nicht vor ausgebufftem Zynismus bewahren.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.