Der Selektoren-Mann
Kurt Graulich - ein Ermittler mit Schweigepflicht
Bitten um ein Gespräch oder gar ein Interview kann man getrost vergessen. Frühestens, wenn seine Arbeit beendet ist, werde er wieder »auftauchen«, ließ er vor Wochen gegenüber der ARD verlauten. So lange sitzt er optimal abgeschirmt von der Umwelt im neuen Hauptquartier des Bundesnachrichtendiensts in der Berliner Chausseestraße. Der Geheimdienst hat eigens für ihn Mitarbeiter abgestellt, die ihn beraten.
»Wenn es noch ein Argument brauchte, warum es so wichtig ist, dass die Opposition vor den Karlsruher Richtern für die Rechte des Parlaments kämpfen muss, dann sehe man sich nur die Arbeitsbedingungen des Dr. Graulich an«, sagt die Obfrau der Linkspartei im NSA-BND-Untersuchungsausschuss. Martina Renner moniert, dass der Sonderbeauftragte »unter Vertrag der Bundesregierung und dem Kuratel des BND« dienstbar sein muss. Dass so jede seriöse Geheimdienstkontrolle »weiter scheitern muss, ist programmiert«.
Graulich war Richter am Bundesverwaltungsgericht. Er ist 65 Jahre alt, seit Februar im Ruhestand, SPD-Mitglied und praktizierender Zen-Buddhist. CDU, CSU und SPD haben brav genickt, der Mann und »das Verfahren Sonderermittler« ist ihnen genehm. Die Oppositionsparteien dagegen lehnen ihn ab, weil sie das ganze Prozedere als undemokratisch ansehen und wollen in Karlsruhe gegen ihre Entrechtung klagen. Die Opposition besteht darauf, dass die Selektoren-Liste von den Abgeordneten selbst eingesehen werden kann. Das Bundeskanzleramt lehnt es ab, den zuständigen parlamentarischen Gremien einen Einblick zu gewähren. Die Regierung argumentiert, sie wolle so einen Bruch des Völkerrechts verhindern.
»Wir tragen keine Person mit, die allein dem Schutz des Kanzleramts dient«, sagte der Grünen-Obmann Konstantin von Notz unlängst und sogar Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) scheint nicht sicher, ob die aufgezwungene Lösung rechtlich sauber ist.
Denn ernannt wurde der Sonderbeauftragte von der Bundesregierung. Die bestimmt auch, was Graulich überhaupt zu sehen bekommt. Es sind keinesfalls die von der NSA übermittelten Selektoren, das wären viele Millionen Stichworte, E-Mail-Adressen, Namen Telefon-, Konto- und Autonummern. Er darf lediglich jene sehen, die der BND - nachdem die meisten Selektoren jahrelang liefen - 2013 aus seinem Programm genommen hat. Grund: Sie betrafen deutsche oder EU-Ziele, Firmen, Institutionen, Personen.
Selbst wenn der Sonderbeauftragte etwas findet, dass noch nicht in Wikileaks zu lesen war - er muss es für sich behalten. Auch den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses darf er nur allgemeine Bewertungen zukommen lassen. Denn der Mann, der Geheimnisse ermitteln soll, ist zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Absurdes Sommertheater.
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