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VV61-2450-000615 - Beleg einer Lüge

Die Kaligrube in Bischofferode ist plattgemacht und geflutet - es lebe das Bergwerk im Ohmgebirge

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Entdeckung ist kein Trost für die ehemaligen Bergleute: Man hat sie gefeuert, obwohl es im Eichsfeld Kali und Arbeit für Jahrzehnte gegeben hätte

Ein Fremder, der am Freitagnachmittag mit einer Kamera durch das ehemalige Schachtgelände läuft, erregt Aufsehen. Erst erscheint eine Chefsekretärin und liest dem Reporter Schilder vor, auf denen »Betriebsgelände« steht. Die Frage, wo hier wer was betreibe, überhört sie. Dann erscheint ein Mann aus der benachbarten Metallbude und blubbert: »Was fotografieren Sie denn hier?«

Der Reporter ist versucht zu antworten, er betreibe Industriespionage. Doch derartigen Spott haben die, die sich hier im »Gewerbegebiet« auf der Thüringer Seite des Harzes durchzuschlagen versuchen, nicht verdient. Es ist nicht ihre Schuld, dass hier nicht bis zu 1000 innovative Arbeitsplätze entstanden sind, die der einstige Erfurter CDU-Ministerpräsident versprochen hatte. Zuvor war aus den ostdeutschen Gruben die Mitteldeutsche Kali AG (MDK) gegründet worden. Dann fusionierte man mit dem Konkurrenten im Westen, der Kali+Salz AG (K+S).

Monopol statt Wettbewerb - vereint und nicht gegeneinander sollen beide arbeiten. Da störte die Grube in Bischofferode, deren Belegschaft sich nicht unterwerfen wollte. Doch es ging um mehr als nur die Exekution eines lästigen Konkurrenten. So widerborstiges Verhalten konnte die nun gesamtdeutsche Politik nicht dulden. Da könnte ja jeder ... Genau! Die Betriebsbesetzer in Bischofferode gingen 1993 bis zum Hungerstreik, um ihren Anspruch auf Arbeit zu bekräftigen. Die Region stand ihnen bei, Fleischer, Bäcker brachten Verpflegung, Pfarrer erflehten den Beistand Gottes. Die Kumpel fanden bundesweit Unterstützer. Zu wenige.

Aus heutiger Sicht, so sagte der damalige Treuhandsprecher Wolf Schöde im nd-Interview, sei damals etwas »ganz Tragisches passiert«. »Ein Kunstfehler in der Privatisierungsstrategie.« Der ließ die Region ausbluten. Rund 1000 Einwohner sind weg, vor allem die jungen. Der Ort Bischofferode muss noch immer für längst abgerissene Häuser zahlen. Gut fünf Jahre nach der Schließung ist der einstige Betriebsratschef Gerhard Jüttemann von Firma zu Firma gelaufen, um die neu geschaffenen Arbeitsplätze zu addieren. »Auf 60 bin ich gekommen«, poltert der graubärtige Taubenzüchter los. »Dabei habe ich schon die Kosmetikerin und die Frau von der Tankstelle mitgerechnet.«

Die gibt es noch und einen Treppenbau, eine Autoverschrottung, den Metallbau. Das Fuhrgeschäft gab es schon vor der Wende - als Kohlehandel. Das war es und deshalb lohnt nicht einmal eine Urlaubsvertretung für die preiswerte Mini-Kantine im Direktionsgebäude.

Dabei, so schien es, könnte das stillgelegte Bergwerk durchaus zu etwas nütze sein, nachdem K+S die modernen Geräte in ihre Gruben umgesetzt hatte. Über Jahrzehnte wollte man Altlasten-Lauge in die einstigen Kalischächte pumpen. Völlig ungefährlich für die Umwelt sei das, ließ man sich in Gutachten schreiben. Nachdem man bereits 2,3 Millionen Kubikmeter ins Südfeld geleitet hatte, ließ man 2004 plötzlich davon ab. Warum? Die Frage ist gut und bleibt vermutlich deshalb ohne sinnfällige Antwort.

Als man 1993 den Kaliabbau in Bischofferode beendete, geschah das stets mit dem Hinweis, dass das Salz nichts Wert sei. Die geförderten Sorten K 60 und K 61 wären allenfalls Nischenprodukte. »Finden Sie mal einen, der so eine marode Grube übernimmt«, hatten die Treuhänder gehöhnt. Die Kumpel fanden einen: Johannes Peine, Chef einer westfälischen Firmengruppe. Der war wirklich nicht blauäugig, als er sagte, dass man aus Bischofferode jährlich rund 100 Millionen Mark herausholen könnte. Peine hatte sich genau angeschaut, wo die Zukunft des Kalibergwerks sein könnte. Auch die Treuhand wusste, dass man bei einer Erweiterung noch mindestens 47 Jahre reinstes Salz fördern kann.

Doch dann erhielt der westdeutsche Kapitalist einen Anruf von Rita Süßmuth. Die CDU-Frau und Chefin des Bundestages wies ihn darauf hin, dass sich die Finanzbehörden demnächst sehr gründlich mit den Peine-Firmen befassten können, wenn der Chef auf Gegenkurs bleibt.

Zeitensprung ins Jahr 2015. Die BVVG, also die Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft, privatisiert im Auftrag des Bundes provisionsfrei in den ostdeutschen Ländern ehemals volkseigene land- und forstwirtschaftliche Flächen sowie andere Vermögenswerte. Seit April offeriert sie das »Bergwerkseigentum Ohmberge« in Nordthüringen. Es handelt sich um ein 25 Quadratkilometer großes Feld. Nach geologischen Gesichtspunkten wird das Bergwerksfeld in vier Vorratsflächen unterteilt, man listet verschiedene Angaben zur Ertragsfähigkeit auf und stellt fest: »Unter der Annahme, dass im Bergwerksfeld Ohmgebirge dem Grubenfeld Bischofferode vergleichbare Bedingungen herr- schen, ... ergeben sich Gesamtrohstoffvorräte von knapp 150 Millionen Tonnen abbaubares Hartsalz mit einem Gehalt von etwa 20 Millionen Tonnen K2O.«

»Das, was die ›Objekt VV61-2450-000615‹ nennen, ist unser Feld«, sagt Ex-Betriebsrat Jüttemann. Kollegen vom Kaliverein erinnern sich an Details der eigenen Perspektive, die ihnen mit der Schließung und Flutung des Bergwerkes geraubt wurde.

Auch die BVVG bestätigt auf nd-Anfrage, dass man keine neuen Erkundungen in Auftrag gegeben habe. Das heutige Bergwerksfeld Ohmgebirge sei in Erkundungskampagnen untersucht worden. »Insgesamt befinden sich zwölf der vor dem Jahr 1990 abgeteuften Erkundungsbohrungen auf Kalisalze innerhalb des Bergwerksfeldes. Fünf Bohrungen entstammen einer Kalierkundungskampagne zwischen 1960 und 1963. Der insgesamt sechs Bohrungen umfassenden Kalisalzvorerkundung in den Jahren 1982 bis 1984 entstammen vier Bohrungen. Die Kerne dieser Kampagne wurden vollständig chemisch und petrographisch bemustert.« Die DDR-Geologen waren offenbar so gründlich wie ordentlich. Schließlich hätte sich ja mit dem »weißen Gold« einiges im damaligen westlichen Ausland verdienen lassen. Nun hofft die BVVG, dass sie etwas für den Bund rausschlägt. Bislang gebe es drei Interessenten. Nach einem halben Jahr des sogenannten Interessenbekundungsverfahren werde geprüft, ob es eine Ausschreibung zum Verkauf gibt.

Es scheint so, dass sich der Konzern K+S an einer solchen Ausschreibung nicht beteiligen will. Man habe zwei eigene Projekte, die die ganze Aufmerksamkeit verlangen, sagt Konzernsprecher Ulrich Gröbel. Eines liege in Niedersachsen, eines in Kanada. Gröbel, der offenkundig von der Historie von Bischofferode nicht die geringste Ahnung hat, schönt gewaltig. Es ist vielmehr so, dass der kanadische Kali-Konzern Potash Lust auf K+S hat. Die drohende feindliche Übernahme lässt, wie Jüttemann sagt, »in Bischofferode nicht gerade Tränen fließen, schließlich ist die K+S-Westbelegschaft damals gegen unseren Streik auf die Straße gegangen«. Doch Bodo Ramelow, dessen Wort in Bischofferode Gewicht hat, rät dazu, sich »jede Schadenfreude zu verkneifen. Wieder sind Arbeitsplätze bedroht und was es bedeutet, wenn man sich die Kraft der Solidarität abhandeln lässt, habe man ja zur Genüge erlebt.« Zudem muss der linke Thüringer Ministerpräsident auch Landesinteressen im Blick haben. In Unterbreizbach, das liegt im Wartburgkreis, beschäftigt K+S 1500 Mitarbeiter.

Politisch spinnefeind, ist der Linke da ganz bei seinem hessischen Amtskollegen Volker Bouffier. Der CDU-Betonkopf hat auch Sorge um die Steuereinnahmen, denn K+S sei der »größte Arbeitgeber im Grenzgebiet von Hessen, Thüringen und Niedersachsen«. Die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden wird von der SPD unterstützt. »Wir wollen, dass K+S erfolgreich, eigenständig und zukunftsfähig bleibt«, meint Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel.

Als Ramelow sich am Freitag mit den Kumpeln vom Kali-Verein Bischofferode traf, um ihnen eine Spende zu übergeben, hatte er angedeutet, wie man am Standort ein paar Arbeitsplätze zusätzlich schaffen könnte. Noch eine Vision ist dagegen die Sache mit den teuren Altlasten. Die Laugen und Abraumhalden, die bei der Kaligewinnung entstehen, seien zum Gutteil mehr als Dreck, der die Natur quält. Warum holt man nicht die darin enthaltenen Wertstoffe heraus? Technisch möglich scheint das. Der Haken an der Sache: Solche Verfahren sind energieintensiv. Man müsste, so Ramelow, diese Prozesse also in Tageszeiten legen, in denen es ein Stromüberangebot gibt. Als Bodo (der Rote), das Volker (dem Schwarzen) erzählte, habe der leuchtende Augen bekommen. Wer weiß ...

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