Wasser für den Mont Saint-Michel

Das UNESCO-Welterbe im Ärmelkanal soll wieder dauerhaft eine Insel werden

  • Andrea Tebart
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein winziges Stück Land im Ärmelkanal droht zu versanden. Ein Gezeitenspektakel soll Abhilfe schaffen. Die Renaturierung wird noch dieses Jahr abgeschlossen werden.

Schafe grasen in den Poldern. Und über den Salzwiesen ragt majestätisch der Mont Saint-Michel. Eine Sturmflut am Beginn des 8. Jahrhundert hatte den Startschuss gegeben. Mit dem Granitkegel, der damals weggespült wurde, versank auch die Landverbindung im Wasser. Was blieb? Ein idealer Bauplatz im Ärmelkanal. Dann wurde es visionär. Der Legende nach erhielt Bischof Aubert von Avranches im Jahr 708 einen Auftrag im Traum. Gleich dreimal soll Erzengel Michael ihm befohlen haben, genau auf dieser Insel ein Kloster zu errichten. Gesagt, getan. Was zunächst eine Kultstätte war, entwickelte sich aufgetürmt zu Kloster, romanischer Abteikirche und einem winzigen Dorf. So wurde der Mont Saint-Michel ein religiöses Pilgerzentrum und spätestens am Ende des 19. Jahrhunderts zum französischen Touristenmagneten am Rande der Normandie.

Manche sagen, der Mont Saint-Michel sei ein Weltwunder. Tatsache ist: er steht seit 1979 unter dem kulturellen Schutz der UNESCO. Später kam noch der Titel des Weltnaturerbes hinzu. Viele Gründe also, diesen Felsen im Ärmelkanal zu schützen.

Und da gab es - passenderweise - auch gleich ein Riesenproblem: Die gesamte Bucht drohte zu versanden. Immer ein Stückchen mehr, während der Mont Saint-Michel zusehends mit der Küste verwuchs. Und das, obwohl der Tidenhub an der nordfranzösischen Küste mit maximal 15 Metern zu den größten der Welt zählt.

Die Ursachen waren offensichtlich. Landwirte hatten das äußerst fruchtbare Land um den Mont trocken gelegt. Und der Deich, der das Festland - bequem für Besucher - mit der Insel verbunden hatte, störte das Zusammenspiel der Naturgewalten erheblich. Hinzu kam: Der 98 Kilometer lange benachbarte Fluss Couesnon war im 19. Jahrhundert kanalisiert worden, um das Erodieren des Ufers einzudämmen. 1969 verstärkte ein Staudamm an seiner Mündung in den Ärmelkanal noch das Problem.

Der scheinbare Fortschritt, nämlich trockenen Fußes auf den Glaubensberg zu gelangen, hatte sich ins Gegenteil verkehrt. Ebbe und Flut transportierten nicht mehr ausreichend Sedimente und Wassermassen ab. Selbst der Zufluss des Couesnon reichte nicht mehr. Der berühmte Felsen versank optisch immer mehr im Schlamm. Über eine Million Kubikmeter hatte sich angesammelt.

Für dieses Szenario tat eine Renaturierung not, die 2005 begann und in diesem Jahr abgeschlossen sein wird. Mit riesigem technischen Aufwand und einem 184-Millionen-Euro-Projekt ist der Trend der Verlandung umgekehrt worden. Nach und nach - so die Planung - wird der Glaubensberg wieder zur Insel. In diesem Jahr geschieht dies noch mehrfach. Das Kriterium ist der sogenannte Gezeitenkoeffizient. Wenn der größer als 110 ist, wird der Mont Saint Michel wieder von Wasser umspült. Zwar nur ein paar Stunden, aber immerhin. Der Wassertrend zeigt aufwärts.

Beigetragen haben zu diesem Ergebnis mehrere Bauaktivitäten, die an verschiedenen Stellen durchgeführt worden sind und alle ineinandergreifen. So gibt es im Couesnon seit 2007 einen Staudamm, der das Wasser bei Flut zurückhält und erst verzögert wieder abfließen lässt. Dieses Gezeitenspektakel kann von einer Brücke oberhalb beobachtet werden.

Wissenschaftliche Messungen ergeben regelmäßig, dass tatsächlich kontinuierlich Sand weggespült wird. Überprüft wird dies mit Hilfe von Laserstrahlen. Entweder messen Experten den aktuellen Zustand vom Kirchturm oder sie fliegen mit dem Flugzeug über die Insel. Und selbst vom Boden aus wird optisch deutlich, dass die Marschen zurückgehen. Vor allem mit Hilfe der Wasserkraft, die den Sand ins Meer zurückspült.

Inzwischen wurde zusätzlich der blockierende Straßendamm aus dem Jahr 1869 entfernt und durch eine 760 Meter lange Brücke ersetzt, um deren Stelzen das Wasser ungehindert fließen kann. Das elf Meter breite Bauwerk mit seinen Eichenholz-Planken - so die Absicht des österreichischen Architekten Dietmar Feichtinger und seines Teams - fügt sich seit Juli 2014 unaufdringlich, ja fast schwebend, in die Küstenlandschaft ein. Durch dessen Schwung sind sogar verschiedene neue Blicke auf den Mont Saint-Michel möglich.

Parkplätze für die jährlich rund drei Millionen Touristen gibt es jetzt nicht mehr, wie früher, direkt an der Klosterpforte. Sie müssen ihr Fahrzeug am neuen Parkplatz auf dem Festland abstellen. Mit Shuttlebussen geht es dann zum UNESCO-Weltkulturerbe. Und wer will, kann einen 40-minütigen Fußmarsch auf die Insel machen.

Bis 2020 sollen 80 Prozent der Sedimente entfernt und der Wasserspiegel in der Bucht um 70 Zentimeter gestiegen sein. Das eigentliche Planungsziel: 2025. Dann ist die Renaturierung tatsächlich komplett abgeschlossen und der ursprüngliche Zustand erreicht. Der Mont Saint-Michel wird dann dauerhaft wieder eine Insel sein, die einen Kilometer vor der normannischen Küste liegt und maritimen Charakter hat.

2015 wird der Mont Saint Michel an diesen Tagen stundenweise von Wasser umspült werden: 2., 3., 30., 31. August. 1., 2., 29. September. 28. Oktober.

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