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Die Mission der kleinen Taube

Eine Kindergärtnerin schuf eines der bekanntesten DDR-Lieder - es ist bis heute unvergessen

  • Lesedauer: 3 Min.
In der DDR war es weithin bekannt, das Lied »Kleine weiße Friedenstaube«. Viele sind noch heute text- und melodiesicher. Gesungen wird das Lied aber kaum noch. Wie geht es der Frau, die es schuf?

Nordhausen. Als Erika Schirmer zum ersten Mal ihr Lied über die »weiße Friedenstaube« vor sich hinsummte, war die Trauer über die Millionen Kriegstoten noch frisch. Das Kriegführen aber ging weiter: im Irak, Iran, in Syrien, in der Ukraine, im Nahen Osten und anderswo. Schirmers Wunsch nach Frieden auf der Welt erfüllte sich nicht. Diesen Appell schrieb die heute 89-Jährige 1949 in ihrem Lied »Kleine weiße Friedenstaube« nieder. Das wohl bekannteste DDR-Kinderlied hat 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht an Aktualität verloren.

Die umtriebige Schriftstellerin und Künstlerin stöbert in einem ihrer Schränke und bringt eine CD mit. »Die kam dieser Tage aus Finnland«, berichtet sie stolz. Darauf ist ihr Lied über die Friedenstaube, das einst in jedem Kinderliederbuch der DDR stand und auf unzähligen Pioniernachmittagen angestimmt wurde. Es war leicht und einprägsam, wohl deshalb ist es weit über die DDR hinaus bekannt geworden. Schirmer holt eine zweite CD mit ihrem Lied, abgeschickt aus Österreich.

»Du sollst fliegen, Friedenstaube, allen sag es hier, dass nie wieder Krieg wir wollen, Frieden wollen wir«, heißt es in dem Lied. Im Frühjahr 1949 sei ihr es spontan in den Sinn gekommen, als sie auf dem Weg zur Arbeit in einen Kindergarten in Nordhausen war. Inspiriert wurde sie von einem Plakat mit Pablo Picassos Taube, die er für die Weltfriedenskonferenz in Paris entworfen hatte, erinnert sich Schirmer. Es war an einem Haus angebracht. Als sie den Kindergarten erreichte, »war der Text in meinen Gedanken schon fertig«. Die Taube ist noch heute Symbol der Friedensbewegung.

Erika Schirmer bringt ihr Fotoalbum. Ein Bild zeigt sie beim Besuch eines Wachsfigurenkabinetts. Sie sitzt neben dem nachgebildeten Maler Picasso. Sie wirkt glücklich, als sie das Foto betrachtet. Glückliche Zeiten gab es nicht immer: Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ihre Familie aus Schlesien in Polen vertrieben. Zu ihrer Heimatstadt Czerwiensk pflegt sie noch heute Kontakte und stellte auch dort ihre Scherenschnitte aus - ein weiteres künstlerisches Talent der gelernten Kindergärtnerin und Lehrerin. Sie setzt sich seit Jahren für die Freundschaft zwischen Polen und Deutschland ein.

Nordhausens Oberbürgermeister und früherer Landesminister Klaus Zeh (CDU) nennt Schirmer deshalb eine »Botschafterin des Friedens und der Völkerverständigung«. Sie ist Ehrenbürgerin Nordhausens und ihrer polnischen Heimatstadt. Dass aus Nordhausen solch ein Friedenslied komme, »ist ein tolles Zeichen«, findet Zeh und verweist auf das frühere Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen mit seiner Raketenproduktion für den Weltkrieg.

»Ich wünschte, die Menschen würden vernünftiger miteinander umgehen«, sagt Erika Schirmer. Ein politischer Mensch war sie nie, ebenso wenig wie die »weiße Friedenstaube« ein vordergründig politisches Lied ist. Das Lied verschwand dennoch nach der Wende aus den Kindergärten und den Schulen.

So sei es vielen DDR-Liedern ergangen, berichtet Sylvia Löchner von der Musikschule Eisenach. »Leider wurden diese Songs von der Politik so missbraucht, dass sie heute keine Rolle mehr im Musikschulleben spielen, weil man sie sofort mit bestimmten Bildern assoziiert.« Bei der »Friedenstaube« habe sie einen Besuch von DDR-Staatschef Erich Honecker in einem Betrieb vor Augen, bei dem singende Kinder ihm strahlend Nelken überreichten.

Einer Umfrage des Landesverbands der Thüringer Musikschulen zufolge wird die »Kleine weiße Friedenstaube« heute kaum noch gesungen. Der Stadtchef von Nordhausen verweist auf Ausnahmen: An den Grundschulen seiner Stadt werde das Lied wieder angestimmt. Erika Schirmer freut es, auch wenn ihr der Wirbel um ihr bekanntestes Lied sichtlich unangenehm ist. Sie kommentiert es so: »Die Taube fliegt wieder.« dpa/nd

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