Bauernproteste gehen weiter
EU-Sondersitzung der Agrarminister zum Milchpreisverfall im September geplant
Seit vier Monaten ist die Milchquote Geschichte, eingetreten ist eine Entwicklung, die Bauern prophezeit haben: Die Produktion steigt weiter, der Preis ist im Sinkflug. Durchschnittlich 27 Cent bekommt ein Erzeuger in Deutschland in diesen Tagen für einen Liter Milch von der Molkerei, Tendenz sinkend. Für die französischen Milcherzeuger, die noch rund 30 Cent bekommen, ist das Preisdrückerei. Ihre Proteste an der Grenze und vor französischen Großmolkereien haben sie zwar nach rund einer Woche beendet - nachdem Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll ein Treffen zugesagt hatte und sich mit Branchenvertretern auf eine Aufwertung des Milchpreises auf 34 Cent pro Liter geeinigt hatte. Aber sie könnten jederzeit wieder auf die Straße gehen, kündigten Bauernvertreter an. Auch in Belgien und Portugal protestierten Bauern gegen sinkende Preise.
Demonstrationen gab es zudem in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Am Dienstagabend zogen in Waren/Müritz rund 50 Landwirte mit Traktoren vor die zum Deutschen Milchkontor (DMK) gehörende Molkerei Müritz-Milch-GmbH. Bereits am Freitag hatten rund 25 Bäuerinnen und Bauern der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) vor der DMK-Geschäftsstelle in Zeven protestiert. Gegenüber »nd« kündigte der Sprecher des BDM, Hans Foldenauer, weitere Proteste in den kommenden Wochen an. Auch für das am 7. September geplante Sondertreffen der EU-Agrarminister in Brüssel erwartet er Proteste von Milchbauern.
Eckehard Niemann von der AbL ist ebenfalls überzeugt, dass weitere Aktionen folgen werden. Ursache für die sinkenden Preise ist nach Ansicht des Sprechers des AbL-Landesverbandes Niedersachsen die Überproduktion, unterstützt von den Molkereien, um den Preis instabil zu halten. Geschürt werde der Preisdruck zudem durch Weltmarktversprechen, die nicht eingelöst werden. »Der China-Traum ist geplatzt«, so Niemann gegenüber »nd«. Dort übernähmen neu entstehende Großbetriebe zunehmend die Versorgung. Zusätzlich mache das Russlandembargo den Milchbauern zu schaffen. Die AbL kritisiert seit langem die auch vom Deutschen Bauernverband (DBV) propagierte Weltmarktorientierung: Es mache keinen Sinn, Überschüsse zu hohen deutschen Kosten zu erzeugen, die man dann zu den Billig-Exportpreisen der Konkurrenz auf dem Weltmarkt verschleudere. Werde zudem Milchpulver exportiert, schade das den Märkten in Entwicklungsländern.
»Jetzt reicht es«, sagt auch Ottmar Ilchmann. Der Milchbauer aus Ostfriesland und stellvertretende AbL-Bundesvorsitzende kritisierte auf der Kundgebung in Zeven, die »perspektivlose Überproduktionsstrategie großer Genossenschafts- und Lebensmittelkonzerne schade in allen EU-Ländern«. Der Verband solidarisierte sich mit den französischen Protesten. Auch der BDM zeigte Verständnis für die französischen Kollegen, »die auf die Barrikaden gehen, weil die Situation für sie nicht länger tragbar ist«, so der BDM-Vorsitzende Romuald Schaber. Er rief sie dazu auf, »solidarisch mit uns und den europäischen Milchviehhaltern gegen die eigentlichen Ursachen und Verantwortlichen dieser Milchkrise vorzugehen«.
Wenig Verständnis zeigte dagegen der Milchindustrie-Verband in Berlin. Wettbewerbswidrige Maßnahmen dürften nicht das Mittel der Wahl sein, teilte der Verband mit. Dieser Meinung sind auch der DBV und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). DBV-Präsident Joachim Rukwied, erklärte, die Ursachen für den Preisdruck lägen beim Russlandembargo, beim schwächelnden Export und bei der Konzentration des Lebensmitteleinzelhandels.
Die AbL dagegen fordert, »das Überangebot muss umgehend verringert werden, damit sich die Milchpreise wieder erholen können und auf ein kostendeckendes Niveau einpendeln«. »Deshalb fordern wir die Molkereien auf, umgehend einen Bonus für Milcherzeuger einzuführen, die ihre Milchmenge nicht ausdehnen oder sogar reduzieren«, so Ilchmann
Der agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA im EU-Parlament, Martin Häusling, will einen europäischen Milchgipfel: »Und zwar nicht erst im September. Denn weder pausiert die Milchmarktkrise noch können die Probleme warten.«
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