Die im Dunkeln sieht man nicht
Christian Baron über das digitale Berlin und die analoge Armut
Einst prügelte man die Menschen in die Fabriken hinein. Mittlerweile müssen sie förmlich wieder herausprügelt werden. So sehr haben die Leute die Erwerbsarbeit naturalisiert, dass sie ohne sie nicht mehr leben zu können glauben. Darum funktioniert die Verlagerung der abhängigen Schufterei hin zu den »digital Eingeborenen« so gut. Der freischaffende Nachwuchs übt sich in Selbstausbeutung und erwählt sich Berlin als unternehmerischen Spielplatz.
Denn »Berlin Partner« will die Hauptstadt in ein europäisches Silicon Valley verwandeln. Vor wenigen Monaten begab sich die Fördergesellschaft auf Inspirationssuche zu den Technik-Euphorikern in die USA. Was sie mitbrachte, sind eine klare Förderidee sowie eine Marketingstrategie, die Industrie und Startups als in gegenseitigem Nutzen agierende »Crowd« zusammenbringen. Das mag neue Arbeitsplätze geschaffen und das Image der Stadt verbessert haben.
Dass der Regierende Bürgermeister nun jedoch den Slogan »Arm, aber sexy« für obsolet erklärt, zeugt von einer Perspektive, die die Schattenseiten des Booms ausblendet: Die Gründerszene ist ein Biotop, in dem wenige erfolgreich sind, in dem viele scheitern - und aus dem mancher vom Burnout geplagt in der Psychiatrie landet. Völlig im Dunkeln bleiben dabei jene in unwürdigen Bedingungen lebenden Langzeiterwerbslosen, für die kein Platz mehr vorgesehen ist. Sie hoffen trotzdem, dereinst noch einmal in die veränderte Arbeitswelt zurückkehren zu dürfen. Gegen den betörenden Glanz der blühend Glückseligkeit versprechenden Erwerbsarbeitslandschaften ist eben noch kein Kraut gewachsen. Erst recht keine »Crowd«.
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