Viel Lärm um eine WM-Absage

Diskuswerfer Robert Harting verzichtet für Olympia auf seine Titelverteidigung in Peking

Robert Harting startet nicht bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in knapp zwei Wochen. Vor der Verkündung des Entschlusses wollte er aber allen noch mal zeigen, wie stark er ist.

Mit jedem Hub aus den kräftigen Beinen wird das Stöhnen lauter. Die mit gelben, roten und grauen Gewichten bepackte Hantel liegt schwer auf dem Nacken, und das lässt Robert Harting jeden im Raum wissen. Uueeh, uueeh, uuuuueeh! Eins, zwei, drei, dann wird die Hantel wieder abgelegt und der zwei Meter große Kraftprotz läuft eine Runde die Milchsäure aus den Beinen raus. Kurz vor den Olympischen Sommerspielen in London 2012 lud Harting erstmals zum Medientraining in den Kraftraum des Bundesleistungszentrums in Kienbaum. Seitdem tut er das jedes Jahr vor dem jeweiligen Saisonhöhepunkt, und immer wieder kommen unzählige Fotografen, Kamerateams und schreibende Journalisten, um dem Meister eineinhalb Stunden zuzusehen, wie er Hanteln in die Höhe stemmt. Eins, zwei, drei, fallenlassen, rumlaufen.

Dieses Mal geht es jedoch nicht nur darum, dass Harting ein bisschen angeben und danach noch etwas plaudern will. Dieses Training mit anschließender Pressekonferenz wurde als große Entscheidungsshow angekündigt. Monatelang war der Weltmeister verletzt. Knapp zwei Wochen vor der WM in Peking will Harting endlich der Welt mitteilen, ob er seinen Titel verteidigen wird. Zuvor jedoch muss kräftig gestöhnt werden. Bruder Christoph und Freundin Julia Fischer trainieren auch noch mit. Sie spulen ihr Programm leise ab, sie sind eben noch keine Medienprofis vom Format eines Robert Harting. Das kommt schon noch. 2012 hat der ja auch noch nicht gestöhnt.

Harting spannt also die gesamte Besucherschar auf die Folter. Draußen scheint die Sonne vom blauen Himmel, doch man sitzt im verschwitzten Kraftraum fest, während 100 Meter weiter ein malerischer märkischer See zum Baden lockt. Die Fotografen lichten Harting trotzdem aus allen möglichen Blickwinkeln ab. Von vorn, von hinten, von unten – was sollen sie auch anderes machen. Dieselben Fotos haben sie zwar schon vor drei, zwei und einem Jahr gemacht, aber was soll’s? Der Rest der Meute versucht, aus dem Stöhnen herauszuhören, ob das Kreuzband in Har᠆tings Knie nun hält oder nicht. Eigentlich sind sich dessen alle sicher. Warum sollte er sonst so einen Aufriss machen? Aber dem Berliner ist alles zuzutrauen. Immerhin kann er so noch mal das auf den Oberarm geklebte Sponsorenlogo präsentieren.

Nach einer Stunde legt er plötzlich Eisbeutel auf die Knie. Ein Zeichen? Ein Kameramann wirft sich sofort vor Harting auf den Boden und filmt los. Geht’s also doch nicht? Ist der Traum vom vierten Titel in Folge ausgeträumt? Harting lächelt nur in die Kamera und verlässt den Raum. Die Schar folgt: raus aus dem Kraftraum zur Laufbahn. Robert Harting beim Joggen, auch das muss fotografiert werden. Humpelt er da etwa? Nein. Oder doch? Die Spannung ist kaum mehr auszuhalten. Robert, nun sag endlich, wie’s dir geht!

Mittagspause. Noch mal eine Stunde rumsitzen. Zeit genug, diesen Artikel zu schreiben. Was soll man auch sonst machen? Die eine Information, wegen der man gekommen ist, kann man ja ans Ende schreiben.

Robert Harting und Julia Fischer haben sich frische T-Shirts angezogen und sitzen nun vor der schwarzen Werbewand, die Hartings elf Sponsorenlogos je elfmal ins Bild setzt. Erst mal geht es ums Thema Doping. Fischer hatte ein Video produziert, in dem auch Harting auftrat. Beide erneuern nun ihren Protest gegen die Vertuschungen von Dopingfällen beim Weltverband. «Die IAAF hat keine Maßnahmen ergriffen, um die eigene Rolle im aktuellen Dopingskandal aufzuklären», beklagt Fischer. «Uns hat das extrem erschüttert. Ich möchte nicht, dass meine Sportart so endet wie der Radsport. Daher sagen wir: Wir sind nicht mit Euch, wir sind gegen Euch!»

Harting spricht von einer Riesenlücke zwischen Funktionären und Athleten. Auch die Zurückhaltung des Präsidenten vom Deutschen Leichtathletikverband, Clemens Prokop, habe ihn enttäuscht. «Ein Präsident muss nah an den Athleten sein und den Sport nicht aus dem VIP-Zelt führen. Er hätte ja auch mal Kritik an der IAAF üben können. Wenn es die Länder oder die Verbände nicht tun, wer soll es denn sonst machen?»

Fischer fordert den Rausschmiss des ganzen «Rattenschwanzes» vom scheidenden IAAF-Präsidenten Lamine Diack. «So eine Vetternwirtschaft darf es nicht geben.» Und Nationen, die sich nicht an den WADA-Code halten, müssten von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen ausgeschlossen werden.« Harter Tobak. Doch tragen Harting und Co. ihren Protest auch auf der großen Bühne bei der WM vor?

Vermutlich nicht, denn erst jetzt kommt er endlich, der Satz, auf den alle gewartet haben: »Ich fühle mich super, aber der WM-Start ist leider absolut nicht möglich. Ich müsste da ein Risiko eingehen, dass ich nicht eingehen kann. Wenn ich mir noch mal das Kreuzband reiße, könnte ich 2016 nicht in Rio antreten.« Das hätte auch in eine E-Mail gepasst, vielleicht sogar in einen Tweet. Aber so war es doch irgendwie dramatischer. Nächstes Jahr will Robert Harting also in Rio de Janeiro seinen Olympiasieg verteidigen. Wir werden ihn vorher bestimmt wieder stöhnen hören.

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