Aufklärung, die in die Glieder fährt
Uwe Kalbe zur Informationskampagne der Bundesregierung für Flüchtlinge
Soll keiner sagen, die deutsche Politik nähme das Schicksal der Flüchtlinge nicht ernst. Sie hat es als Gefährdung des inneren Friedens identifiziert. Das Schicksal der Betroffenen als solches freilich steht nicht zur Disposition - schließlich würde dieses zu erleichtern bedeuten, die Fluchtgründe etwa im Nahen und Mittleren Osten zum Thema zu machen und damit die Außenpolitik auch von EU und NATO. So sind die Flüchtlinge selbst das Problem. Sie stehen zur Disposition, und zwar in der Reihenfolge ihrer Abweisbarkeit.
Menschen aus den Balkanstaaten abzuweisen, hat derzeit Priorität; auf dem Balkan herrscht kein Krieg, und die Mitverantwortung des Westens für die dortige politische Situation befördert den Hang, die für viele Menschen desolate Lage zu bestreiten oder auf nichtstrukturelle Gründe zurückzuführen. Deutschland erhöht soeben die gesetzgeberischen Hürden durch die Ernennung weiterer Staaten zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, hinzu kommt nun eine Öffentlichkeitskampagne der Bundesregierung zur »Aufklärung«, die in den Herkunftsländern selbst wirken soll, um Menschen die Vorstellung von einem besseren Leben in Deutschland möglichst rasch auszutreiben - als Hirngespinst.
So wendet sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit Dienstag in Anzeigen über Facebook an Flüchtlinge in den Balkanländern. Behördenleiter Manfred Schmidt rät davon ab, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. Die Anzeigen seien auf Serbisch und Albanisch verfasst, teilte die Behörde mit, und sollen eine Woche lang online bleiben. Mit der Aktion will das Bundesamt die Zahl der Asylbewerber aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Albanien, Mazedonien und Montenegro verringern. Im ersten Halbjahr 2015 zählte das Bundesamt von dort rund 80 000 Asylanträge, sie machen angeblich rund 40 Prozent der Gesamtzahl an Asylanträgen aus. Behördenleiter Schmidt warnt in den Anzeigen, dass Asylbewerber vom Balkan ab sofort schneller abgeschoben würden. Zudem werde in Deutschland darüber diskutiert, diesen deutlich weniger Taschengeld auszuzahlen als bislang. Einen entsprechenden Vorschlag hatte Schmidt vor einigen Wochen selbst gemacht.
Nach dem Muster ist auch ein Video gefertigt, das unlängst das Bundesinnenministerium online stellte und das »in Abstimmung mit den Herkunftsländern« ebenfalls in den Balkanländern gezeigt werden soll. Zur Aufklärung potenzieller Asylbewerber warnt ein Sprecher vor den Konsequenzen, die eine Entscheidung zur Flucht nach Deutschland haben werde. Eine Aufklärung, die wie ein Schreck in die Glieder fahren soll. Die mehrfach wiederholte Androhung der Abschiebung ist untermalt mir unfreundlichen Aufnahmen bei regnerischem Wetter - Szenen von Leibesvisitationen, Passkontrollen, abfahrenden Bussen, startenden Flugzeugen.
Die Botschaft: Suche nach Arbeit in Deutschland wird hier nicht als Asylgrund anerkannt, die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich politisches Asyl zu erhalten, ist äußerst gering. Nicht nur vor Abschiebung und Abschiebungshaft wird gewarnt. Die entstehenden »Kosten in Höhe von meist vielen tausend Euro« werden den Abgeschobenen in Rechnung gestellt. Automatisch gelte nach der Abschiebung ein Einreiseverbot, »im gesamten Schengen-Raum«. Wieder drohen bei Verstoß Geldstrafen. Und eine spätere Wiedereinreise komme nur in Frage, wenn alle Kosten beglichen sind. Mehrfach werden die Angesprochenen vor dem Ruin gewarnt. In der Darstellung des Innenministeriums sind sie längst keine Flüchtlinge mehr, sondern Menschen, die ihr Geld falsch angelegt haben - nämlich in kriminelle Schlepper. »Helfen Sie aktiv mit, Ihr Heimatland aufzubauen«, lautet der abschließende Rat. Man darf gespannt sein, welchen Erfolg die »Aufklärung« haben wird. Vor allem bei Menschen, die gar kein Geld haben. Mit epd
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