NSA-Selektorenliste: Berlin hatte freie Entscheidung
Weißes Haus widerspricht Angaben aus dem Bundeskanzleramt / LINKE: Regierung muss tatsächliche Kommunikation mit US-Regierung offenlegen
In der Affäre um die umstrittene NSA-Selektorenliste hat die US-Regierung der Bundesregierung widersprochen. Wie die Wochenzeitung «Die Zeit» berichtet, hätte Washington der Bundesregierung die Entscheidung über die Freigabe der Spähliste überlassen. Seitens der Obama-Regierung seien lediglich Bedenken an der Veröffentlichung angemeldet worden.
«Könnten wir davon ausgehen, dass alles, was geheim bleiben soll, auch geheim bleibt, dann hätten wir weniger Bedenken. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass bei euch am nächsten Tag alles in der Zeitung steht», so vertrauliche Auskünfte von Mitarbeitern der Obama-Regierung gegenüber der «Zeit».
Bisher hat die Bundesregierung alles versucht, die NSA-Spähliste der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen. So hat Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) noch im Juni Vertretern von Union und SPD vorgeschlagen, die Selektorenliste des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA nicht an Gremien des Bundestages weiterzugeben, sondern stattdessen einem Ermittlungsbeauftragten Einsicht in die Unterlagen zu gewähren.
Das Kanzleramt verwies noch im Juni auf die andauernden Konsultationen mit den US-Amerikanern. Deren Zustimmung sei notwendig, um die Liste dem Bundestag zu überreichen. Nach einer völkerrechtlichen Vereinbarung dürfe Geheimdienstmaterial der USA nur mit deren ausdrücklicher Zustimmung an Personen weitergeleitet werden, die nicht der Regierung angehören.
Der in «deutschen Regierungskreisen» verbreiteten Behauptung, dass die US-Regierung im Falle einer Veröffentlichung der Selektorenliste mit einer «Einschränkung der Geheimdienst-Kooperation», wurde als «absolute Mär» zurückgewiesen.
Auf die neuen Enthüllung reagierte die Opposition schockiert. «Es ist eine Frechheit, dass Journalisten, die sich der Aufklärung und Transparenz verschrieben haben, mit Strafanzeigen eingeschüchtert werden sollen und die zuständigen Ausschüsse des Parlamentes immer wieder als »Sicherheitsrisiko« für die Geheimdienste bezeichnet und belogen werden», empört sich Marrtina Renner, Obfrau der Linksfraktion im NSA-BND-Untersuchungsausschuss. Sie sei nicht überrascht, dass die Weigerung der Herausgabe der Selektorenlisten an den Untersuchungsausschuss «eine eigene Entscheidung der Bundesregierung ist», sagte sie gegenüber «nd». Der Eindruck habe sich bereits seit längerem aufgedrängt.
Die Bundesregierung habe eine angebliche Gefahren für die internationale Zusammenarbeit erfunden oder aufgebauscht, «um die Aufklärung des Skandals und die Kontrolle der Geheimdienste zu torpedieren. Renner will sich auch nicht mit der Sichtung der Selektorenliste durch eine Vertrauensperson der Bundesregierung bescheiden. »Der Untersuchungsausschuss wie die G10-Kommission müssen die Selektorenlisten selbst bekommen! Es sei jetzt «zwingend erforderlich», dass die Bundesregierung und insbesondere das Bundeskanzleramt auch den tatsächlichen Inhalt der Gespräche mit der US-Regierung zur Verfügung stellen, erklärte Martina Renner gegenüber «nd».
Renner regte an, dass sich die übrigen Mitglieder des Untersuchungsausschusses der Klage gegen die Nichtvorlage der Selektorenlisten anschließen, «um den Eindruck zu vermeiden, die Vertuschungsstrategie der Bundesregierung zu unterstützen statt dem Untersuchungsauftrag des Parlamentes gerecht zu werden.
Konstantin von Notz, Obmann der Grünen im Ausschuss meint: »Sollte sich herausstellen, dass die Herausgabe der Selektorenliste von US-amerikanischer Seite explizit der Bundesregierung überlassen wurde, wäre dies ein weiterer handfester Skandal in einer ganzen Reihe von Ungeheuerlichkeiten. Die Bundesregierung hätte Parlament und Öffentlichkeit bewusst belogen, um die eigene Verstrickung in den Skandal unter den Teppich zu kehren.«
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA über Jahre geholfen haben, europäische Firmen und Politiker auszuspähen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst informierte schon 2008 das Kanzleramt über mögliche Versuche solcher Wirtschaftsspionage. nd
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