Die EU lässt den Westbalkan allein

Das Flüchtlingsproblem wird auch den bevorstehende gemeinsamen Gipfel in Wien prägen

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Diese Woche findet in Wien ein Westbalkangipfel statt. Dabei geht es auch um das aktuelle Flüchtlingsdrama. Die EU braucht Lösungen, denn die Balkan-Staaten sind mit dem Ansturm überfordert.

Im Zeichen der Flüchtlingskrise wird in dieser Woche der Westbalkangipfel in Wien über die Bühne gehen. Doch trotz der verstörenden Bilder des Flüchtlingsdramas auf der sogenannten Balkanroute und der hohen Zahl chancenloser Asylbewerber aus dem EU-Wartessaal hat die Union nur wenig Grund, ausgerechnet in der Asylpolitik den ermatteten Anwärtern selbstgerecht die Leviten zu lesen: Denn es ist nicht zuletzt auch die widersprüchliche und konzeptlose Flüchtlings- und Immigrationspolitik der EU, deren Folgen die ausgezehrten Balkanstaaten zu tragen haben.

Welche Motive Mazedoniens gewieften Premier Nikola Gruevski auch getrieben haben, nach der völlig Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge diese plötzlich wieder schließen zu lassen - zumindest eines von Skopjes Argumenten ist berechtigt: Sein Flüchtlingsproblem bekommt Mazedonien via Griechenland und damit aus der EU. Die von innen faktisch frei gegebene EU-Außengrenze von außen zu schützen, ist von bitterarmen EU-Anwärtern kaum zu erwarten.

Das EU-Mitglied Ungarn hat derweil mit dem Baubeginn eines Grenzzauns noch zusätzlich für Konfliktstoff gesorgt. Stoppen wird die vor allem fürs heimische Publikum erfolgte Selbstabgrenzung die Flüchtlingsbewegungen kaum, allenfalls umlenken. Doch der neue Stacheldraht brüskiert nicht nur Nachbar Serbien, sondern halst dem organisatorisch schwachen Anwärterstaat auch noch das Problem abgeschobener und im Grenzgebiet gestrandeter Flüchtlinge auf.

Der darbende Vorhof der EU kann die Massen nicht stellvertretend für die Wohlstandsstaaten Mitteleuropas aufhalten oder gar dauerhaft unterbringen. Zum einen sind die EU-Anwärter auf der Balkanroute weder das Land der ersten Einreise in Europa noch das Ziel- oder Herkunftsland der Kriegsflüchtlinge. Zum anderen sind die krisengeschüttelten Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan mit Durchschnittsgehältern von nur wenig mehr als 300 Euro weder finanziell noch organisatorisch in der Lage, die Flüchtlinge zu beherbergen.

Nicht nur in Deutschland reagieren die rat- und konzeptlos wirkenden Entscheidungsträger mit verstärkten Klagen über die chancenlosen Asylbewerber aus den Balkanstaaten. Doch wenn das Berliner Innenministerium per Video-Botschaft potenzielle Asylbewerber aus dem Westbalkan dazu mahnt, ihre Kenntnisse besser zum Aufbau der eigenen Länder zu nutzen, kann das bei Jugendarbeitslosenraten von über 50 Prozent nur zynisch wirken.

Schon nennenswerte und nicht nur Alibi-Quoten für Saisonarbeiter und Erntehelfer aus den Anwärterstaaten dürften zu einer spürbaren Entlastung für den Westbalkan führen. Die verstärkte Vermittlung von Berufspraktika etwa könnte zudem jungen Albanern, Bosniern und Serben das Gefühl vermitteln, tatsächlich eine EU-Perspektive zu haben - und auch ohne Emigration Teil des oft als fern erlebten Europas zu sein. Herrische Vorhaltungen in Richtung des geplagten EU-Vorhofs sind leicht. Praktische Hilfen wären besser.

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